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Hessen-nassauische Kirche will Missbrauchsopfern besser zuhören

Verhindern lassen sich sexuelle Übergriffe durch ein Gewaltpräventionsgesetz nach Einschätzung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) nicht, aber es lenke den Fokus darauf. Seit der Verabschiedung des kirchlichen Gesetzes im Jahr 2020 gebe es „nicht weniger Fälle, das wird nie passieren, aber wir können früher eingreifen“, sagte Oberkirchenrätin Petra Knötzele in Darmstadt in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Juristin ist die Leiterin der kirchlichen Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt.

Mit dem Gesetz habe die Kirche bestehende Regelungen zu Schutzkonzepten und verbindliche Verhaltensanforderungen zusammengefasst und „die Aufmerksamkeit und Sensibilität für sexualisierte Gewalt geschärft“, sagte Knötzele. Pädagogisches Personal und Eltern meldeten sich früher, wenn sie das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt. Das komme im Schnitt etwa ein- bis zweimal pro Monat vor. Darunter seien auch Situationen unter Kindern, „die Eltern manchmal verschrecken, weil sie die kindliche Sexualität und Neugier nicht richtig einordnen“ könnten.

Am Donnerstag stellen unabhängige Wissenschaftler die ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes vor. Knötzele erhofft sich davon einen Erkenntnisgewinn: „Durch die Machtverteilung innerhalb der evangelischen Kirche wähnen wir uns vielleicht in falscher Sicherheit.“ Möglicherweise zeige die Studie evangelische Spezifika, die Missbrauch begünstigen und die man verändern müsse.

Seit 2010, als die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg in Berlin und an der Odenwaldschule in Heppenheim bekannt wurden, sei die EKHN 87 Meldungen von sexualisierter Gewalt seit dem Kriegsende nachgegangen. Insgesamt habe es 25 Strafverfahren gegen hauptamtliche oder ehrenamtliche Mitarbeiter gegeben, nicht alle sind abgeschlossen.

Die 2023 gegründete Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt bündelt pädagogische, juristische, seelsorgerliche und historische Kompetenzen. Dazu kommt die Sicht eines Betroffenenvertreters.

In einem kürzlich in der Wochenzeitung „Die Zeit“ öffentlich gemachten Fall von Missbrauchsvorwürfen gegen den verstorbenen Pfarrer Arnulf Zitelmann hatte dessen Tochter den Erstkontakt zur Kirche und ein Disziplinarverfahren kritisiert. Diese Verfahren wollen „wir stärker an den Betroffenen ausrichten“, sagte Knötzele. Für die von Gewalt Betroffenen seien sie wegen der notwendigen intensiven Befragung sehr anstrengend und belastend.

„Wir haben gelernt, dass wir den Betroffenen mehr Zeit geben müssen, für sich zu klären, wo ihr Fokus ist“, sagte Knötzele. Dabei gehe es darum, ob sie auf ein Disziplinarverfahren, auf Anerkennung erlittenen Leids oder therapeutische Unterstützung hofften. Sie sei froh, in der Fachstelle nun Menschen zu haben, „die sich erst einmal bewusst auf das Zuhören konzentrieren können“, sagte Knötzele.