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Herr Merali ist außer Haus

Was passiert, wenn Großkonzerne in Entwicklungsländern Ackerflächen aufkaufen? Nichts Gutes, meinen Kritiker. Mit der Doku „Landraub“ kommt das Thema in Kürze sogar zu uns in die Kinos. Ein Blick nach Tansania

KNA/Joachim Heinz

Eigentlich wäre es spätestens jetzt an der Zeit, einmal auf eine Tasse Tee bei Herrn Merali vorbeizuschauen. Auf der „Aviv“-Kaffeeplantage des Olam-Konzerns im Süden Tansanias hat Sprecherin Nikki Barber gerade wortreich erläutert, wie sich das in 65 Ländern tätige Agrarunternehmen für die Belange der lokalen Bevölkerung einsetzt – und dass beim Land­erwerb im Distrikt Songea Rural alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Die entsprechenden Rechte an einer Fläche von rund 2000 Hektar habe man der Firma „Southern Farms Limited“ abgekauft, die der Familie Merali gehört.

Morddrohungen und dubiose Geschäfte

Draußen auf der Plantage leuchten die roten Kaffeebohnen im warmen Licht der Abendsonne. Harmonie pur – hätte es da nicht zuvor das Treffen mit den Bewohnern von Lipokela gegeben. Das Dorf liegt am Rand der Plantage – und die Geschichten, die man dort erfährt, klingen anders als die von Nikki Barber. Von gebrochenen Versprechen ist da die Rede, von Morddrohungen und dubiosen Geschäften – und von einem Herrn Merali, mit dem in den 80er Jahren angeblich alles anfing.
Dorfzentrum und Plantage sind nur ein paar Autominuten voneinander entfernt. Doch zwischen beiden Darstellungen liegen Welten. Wer hat Recht? Unumstritten ist: In Tansania gibt es jede Menge fruchtbare Böden, die das Interesse ausländischer Investoren wecken. Wirtschaftskrisen und eine wachsende Weltbevölkerung haben die Preise für Ackerland und Agrarprodukte nach oben getrieben.
In vielen Staaten Afrikas profitieren Spekulanten von der Tatsache, dass Besitzrechte oft nur mündlich fixiert sind. Auf diese Weise ist Tansania zu einem Hotspot für „Landgrabbing“ geworden, wie unlängst das katholische Hilfswerk Misereor in seiner Studie „A Right to Food Perspective“ („Das Recht auf Nahrung im Blickpunkt“) feststellte. Das Nachsehen beim Poker um die Böden haben allzu oft jene, denen das Land ursprünglich gehörte: die Dorfbewohner.
Nicht dass die Regierung untätig geblieben wäre. Sie hat den Grund und Boden in Tansania in drei Kategorien eingeteilt: Demnach machen derzeit Reservate 28 Prozent aus; 70 Prozent gehören den Dörfern, und auf 2 Prozent hat die öffentliche Hand Zugriff. Lediglich letztere stehen für Investoren offen. Allerdings können Dorfgemeinschaften ihre Grundstücke in sogenanntes General Land umwandeln lassen.
Die Idee dahinter: Auch abgelegene ländliche Regionen sollten von dem Agrarboom profitieren, sagt Gungu Mibavu vom tansanischen Landwirtschaftsministerium. Vier Kalender hängen in seinem Büro in Daressalam, wo er die ehrgeizigen Jahrespläne der Regierung vorstellt. Soweit die Theorie – aber in der Praxis hakt es, wie der leitende Beamte einräumt. „Wir sind alle Menschen“, umschreibt er höflich jene Korruption, die den Prozess der Landumwidmung begleitet.

Weite Ackerflächen liegen brach

Der Jurist Florian Makynia nimmt kein Blatt vor den Mund. Das Problem beginne schon auf unterster Ebene, so der Projektmanager der von der Kirche geförderten „Landact Education Campaign“. Sie berät inzwischen in acht Bistümern Tansanias die Menschen in Fragen der Landnutzung. Soll ein Stück Land an einen fremden Investor gehen, sind die Dorfvorsteher angehalten, nach Rücksprache mit den Bewohnern eine Entscheidung zu fällen.
Die Aussicht auf schnelles Geld setzt alle Beteiligten unter Druck. So wie in Lutukira. Auf einem von Mangobäumen beschatteten Platz liefern sich Dorfrat und Bewohner bald hitzige Gefechte. Eine Apotheke, einen Traktor oder ein Solar-Panel sowie Bücher für die Schule: Nichts von alledem habe der Investor im Gegenzug für das an ihn übertragene Land realisiert.
Der neue Pächter macht sich rar – und so gerät stattdessen der Dorfrat unter Druck. In einem Teil Lutukiras, so ist zu hören, wird er schon gar nicht mehr anerkannt. Und so treiben die fremden Herren einen Keil durch die traditionellen Gemeinschaften, bevor sie überhaupt die erworbenen Ländereien bestellen. In Lutukira liegt ein Großteil der Ackerflächen brach.
Msindo, wie Lutukira und das Kaffeeplantagen-Dorf Lipokela im Distrikt Songea Rural gelegen, ist einen anderen Weg gegangen. Stolz führt Alfonsi Ngonyani die Besucher in eine Hütte. Im Inneren liegen Papierstöße säuberlich geordnet auf hölzernen Regalböden. Landbesitzurkunden sind der neue Schatz der Dörfler. In einem aufwendigen Verfahren haben sie die Besitzverhältnisse ermittelt und festschreiben lassen.
Umgerechnet mehrere hundert Euro kann diese Prozedur kosten, rechnet Jurist Makynia vor. Eine Menge Geld für eine Gemeinschaft, in der ein Kleinbauer mit etwa vier Euro am Tag auskommen muss. Und: Das letzte Wort liegt beim Präsidenten. Wenn er entscheidet, Ackerflächen in „General Land“ umzuwandeln, um es an Investoren zu geben, nützen Alfonsi Ngonyani und seinen Mitstreitern auch die vielen Urkunden nichts mehr.
Gibt es trotzdem Positivbeispiele? In Magome im waldreichen Zentrum Tansanias scheint das der Fall zu sein. Dort hat die New Forests Company auf 8000 Hektar bislang sieben Millionen Pinien- und Eukalyptusbäume angepflanzt. Neue Jobs sind für die Dorfbewohner entstanden. Wer nicht direkt für den Konzern arbeitet, kann sich etwa zum Imker ausbilden lassen. Flora Damasmuhanga hat das getan. Die 35-Jährige kümmert sich um zwei Bienenstöcke und verdient damit ein Zubrot, das sie in Schulhefte oder Stifte für ihre sechs Kinder investiert.

Ein positives Beispiel – aber wo sind die Verträge?

Die New Forests Company und Magome: Das klingt nach einer Erfolgsstory. Aber Fragen bleiben: Warum gibt es zwar einen schriftlichen Pachtvertrag – aber nur mündliche Zusagen, was die Leistungen des Konzerns für die Dorfbewohner anbelangt? Warum patrouilliert auf der „Aviv“-Kaffeeplantage bei Lipokela ein privater Sicherheitsdienst, wenn es doch keine Konflikte mit den Dorfbewohnern gibt? Und: Wo steckt Herr Merali? Seine Spur verliert sich irgendwo zwischen Daressalam und nordöstlich von Iringa. Dort soll seine Familie vor 20 Jahren ein Gleisbauunternehmen betrieben haben. Der Name deutet auf einen indischen Ursprung hin. Für Kenner der Szene keine Überraschung: Angehörige der indischen Minderheit im Land dienen oft als Strohmänner beim Erwerb großer Ackerflächen.

Am 8. Oktober läuft die Dokumentation „Landraub“ von Kurt Langbein und Christian Brüser in den deutschen Kinos an. Zwei Jahre sind die Filmemacher dafür um die Welt gereist. Sie zeigen, wie indigene Völker und einzelne Bauern in Europa, Afrika, Asien und Südamerika immer stärker unter den Druck von großen Konzernen geraten, die mit Land und Agrarerzeugnissen spekulieren.