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Herausforderungen des Glaubens im Alter

Blickt man sich in den Sonntagsgottesdiensten um, sind es in vielen Gemeinden ältere Menschen, die an der Feier teilnehmen. Gerade im Alter scheint ihnen der Glaube Halt zu geben. Doch ist das wirklich so? Eine Annäherung

© epd-bild / Rolf Zöllner

„Es ist eiskalt in meinem Inneren. Die Seelen ziehen mich nicht mehr an – der Himmel bedeutet nichts.“ Dieser Satz stammt nicht etwa von einem verbitterten Atheisten am Ende seiner Tage, sondern von keiner Geringeren als Mutter Teresa. Die albanische Wohltäterin der Inder, die von der katholischen Kirche im September 2016 heiliggesprochen wurde, machte aus ihren Glaubenszweifeln zeitlebens keinen Hehl. Papst Franziskus hielt die Ordensschwester wohl auch deshalb für prädestiniert, eine Heilige zu werden, weil sie ihre Erschütterungen und Sinnkrisen thematisierte. Geriet schließlich nicht auch Jesus in Verzweiflung, als er am Vorabend seines Kreuzestodes den Vater bat, dass der Kelch an ihm vorübergehen solle. Und noch am Kreuz klagte er: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Das Bedürfnis, mit sich ins Reine zu kommen

Was ist aber mit all jenen Menschen im vorgerückten Alter, die nicht zum Heiligen berufen sind, die nicht die Kraft haben, diesen inneren Widerspruch auszuhalten, in christlicher Nächstenliebe zu handeln, auch wenn die Liebe zu Gott und der Welt aufgebraucht ist?
Das alte schwarzgewandete Mütterlein in der Kirche prägte lange unser kulturelles Bild von Alter und Glauben. Man ging wie selbstverständlich davon aus, dass die Menschen ihren Kinderglauben bis in das Greisenalter bewahren – „auf dass sie werden wie die Kinder“, heißt es schließlich in der Bibel.
Doch das galt in Zeiten, als Tradition noch die Rollenzuschreibungen bestimmte. Mit der Individualisierung der Lebensstile wurde der Traditionsrahmen gesprengt. Die Individualisierung der Lebensstile bewirkt, dass man nicht mehr nur vor Gott und dem Beichtvater, sondern vor sich selbst Rechenschaft ablegt. Das Bedürfnis, durch seine Lebensbilanz mit sich selbst seelisch ins Reine zu kommen, statt das Leben als schicksalhafte göttliche Fügung demütig zu akzeptieren, hat zugenommen.
Wenn im hohen Alter noch körperliche Leiden dazukommen und man mit dem Schwinden der Kräfte klarkommen muss, ist es oft eher die Todesangst, die den Glauben erhält, trotz Hader mit der eigenen Existenz. War einst der christliche Glaube der einzige Sinnanbieter für solch profunde Fragen, kann der Mensch heute auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten zwischen unzähligen spirituellen Angeboten leben. Zur Glaubensfestigkeit trägt dieses Angebot nicht bei, die Wahl zwischen vielen Optionen kann die existenzielle Unsicherheit sogar noch verstärken.
Der Theologe Karl Rahner benannte die spezifische Aufgabe des Alters: „Unser Leben vor uns bringen“. Sich vor Augen führen, was hinter uns liegt, um seelisch gestärkt nach vorne zu blicken. Der Franziskaner Pater Franz Richartz, geistlicher Direktor im Kloster Ohrbeck in Georgsmarienhütte, widmet sich in seiner Bildungsstätte auch der Frage, was den Glauben im Alter ausmacht. „Im Alter werden wir letztlich ganz existenziell mit der Frage konfrontiert: Was glaubst du denn wirklich? Wie ist das, wenn dein Leben jetzt zu Ende geht? Was hält dich, was trägt dich? Kannst du dich fallen lassen?“
Pater Richartz trifft bei seinen Seelsorgebesuchen in Altersheimen immer wieder betagte Menschen, die damit hadern, dass ihre eigenen Kinder und Enkel sich von der Kirche abwenden oder sich darüber beklagen, „wie sehr sie in zu engen Moralgrenzen erzogen wurden und nun ihre liebe Mühe haben, sich auf ihr eigenes Gefühl und Gewissen zu verlassen“. Menschen, denen es zudem immer schwerer fällt, sich auf das Beten zu konzentrieren.

Praktischer Rat: die Gemeinschaft suchen

Das Älterwerden stellt den Menschen vor neue Prüfungen wie der Herausforderung des Loslassens, Durchschreitens und Findens, bei zunehmender Einsamkeit und Kompetenzverlust, schreibt die Leiterin der Abteilung Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen, Monika Renz, in ihrem Artikel „Was am Ende wichtig wird“. Sie konstruiert daraus eine Sinnfrage: Trägt das Leben an uns nicht die Frage nach der eigenen tiefen Wahrheit heran: „Wer bin ich wirklich? Was muss ich tun, wessen mich annehmen?“
Und Renz geht sogar noch einen Schritt weiter: Irgendwann sei selbst die Suche nach der eigenen Identität wie überholt. Das eigene Wesen umfasse stets mehr als das, was vom „Ich“ her sichtbar ist.
Trotz der spirituellen Herausforderung, der der Glaube im Alter ausgesetzt ist, gibt es nach Pater Richartz auch einen praktischen Rat für ältere Menschen mit Glaubens-schwierigkeiten. Hilfreich sei, zum Gottesdienst zu gehen. „Der Glaube muss nicht perfekt sein, aber er kann getragen werden vom gemeinsamen Beten. So können wir vom Glauben, der uns schwerer wird, zum Glauben kommen, der uns tiefer wird.“