“Hao Are You” ist ein Dokumentarfilm eines chinesisch-stämmigen Regisseurs, dessen Familie als Minderheit in Vietnam lebte, nach der Machtübernahme der Kommunisten aber floh und heute auf der ganzen Welt verstreut ist.
Familie kann man sich nicht aussuchen. So könnte der aus Niedersachsen stammende Regisseur Dieu Hao Do nach Ende der Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm “Hao Are You” geseufzt haben, in dem er versucht, der Zerstrittenheit in seiner eigenen Familie auf den Grund zu gehen. Sie stammt aus Ho-Chi-Minh-Stadt, gehörte aber der chinesisch-kantonesischen Minderheit in Südvietnam an.
Seine Großeltern mütterlicherseits hatten sieben Kinder. Davon lebt nur noch der sogenannte Onkel 2 – in der kantonesischen Tradition werden Onkel und Tanten nach Alter durchnummeriert – in Vietnam. Die restlichen Geschwister von Haos Mutter und sie selbst auch sind nach Deutschland, in die USA oder nach Hongkong geflüchtet und sprechen seit Ewigkeiten nicht mehr miteinander.
Warum das so ist, will der 1986 geborene Filmemacher herausfinden. Er fängt mit der Geschichte seiner Eltern an. Als seine Mutter seinen Vater kennenlernte, war dieser bereits verheiratet, verließ für sie aber später seine erste Familie. Eltern und Geschwister der Mutter verurteilten die Verbindung als unmoralisch. Der Regisseur fragt sich, ob die Zerwürfnisse innerhalb der Familie nicht primär durch den seit 1975 herrschenden Kommunismus und die daraus folgenden Traumata der Flucht zustande gekommen seien.
So erfährt man einiges über das nach dem Krieg in Vietnam entstandene Chaos und den Übergang zu einem politischen System, in dem Privateigentum als verpönt galt. Die relativ wohlhabenden Chinesen gerieten als vermeintliche Vertreter des Kapitalismus besonders ins Visier der neuen Machthaber. Haos Familie – die Eltern waren Tuchhändler, Haos Vater Reisgroßhändler – wurde verhört, enteignet und hatte bald nur noch die Flucht im Sinn. Der erste gemeinsame Fluchtversuch von Kleiner Tante und Onkel 3 scheiterte. Beide wurden in ein Umerziehungslager geschickt und zu etlichen Monaten Zwangsarbeit verurteilt. Zahlreiche Mitglieder der chinesischen Minderheit wurden aufs Land umgesiedelt.
Die Geschichte der Familie wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Hao reist mit seiner Kamera nach Asien und in die USA, um Tanten und Onkel persönlich zu sprechen. So sieht man neben Archivaufnahmen auch heutige Bilder von Ho-Chi-Minh-Stadt, die Hao mit 19 Jahren zum ersten Mal besucht hat. Besonders familiäre Gefühle kamen bei ihm damals nicht auf: Er fühlte sich wie ein Tourist. Etliche Jahre später besucht er dort Onkel 2, den einzigen, der in Vietnam geblieben ist. Er hat sich als Heiratsvermittler ein kleines Vermögen aufgebaut.
Anderen Familienmitgliedern ist es weniger gut ergangen. So hat der noch vor 1975 nach Hongkong ausgewanderte Onkel 1 sein erwirtschaftetes Kapital verloren. Wenn die in Los Angeles lebende älteste Tante über mangelnde Bildung, ihre vermeintliche Hässlichkeit sowie Armut klagt, offenbaren sich endgültig gewisse Werte in der Familie, die Zuschauern bedenklich erscheinen mögen. Offensichtlich herrschen dort unausgesprochene Hierarchien und spielt Materielles eine große Rolle. Jene, die weniger reüssiert haben, fühlen sich benachteiligt. Irgendwann wird es auch um das angeblich ungerecht aufgeteilte Erbe innerhalb der Familie gehen.
Letzteres ist in Familien auf der ganzen Welt oft ein Streitpunkt. In Haos Familie wird noch ein Mangel an Zuneigung seitens der Eltern erwähnt, der sich auf die Beziehung der Kinder untereinander übertragen habe. Auch spielt die Zersplitterung der Familie eine Rolle. Denn in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren gelangen die Fluchtversuche. Onkel und Tanten sowie die Eltern wurden zu “Boat People”, trieben tage- oder wochenlang auf überfüllten kleinen Schiffen auf dem Meer, bevor sie von Rettungsschiffen wie der Cap Anamur aufgenommen wurden.
Der Regisseur rollt seine Geschichte Schritt für Schritt auf, stellt sich und seinen Verwandten viele Fragen und versucht allen Beteiligten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Als schließlich seine Cousinen auftreten, verliert man den Überblick. Eigene Videos aus Haos Jugend in der niedersächsischen Provinz deuten seine erfolgreiche Integration an.