Beim gesetzlichen Mindestlohn sind sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber grundsätzlich einig – und auch Wissenschaftler sehen in ihm eine Erfolgsgeschichte. Die vor zehn Jahren eingeführte Lohnuntergrenze habe weder dem Arbeitsmarkt geschadet noch die Tarifautonomie beschädigt, sagt der Tarifexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, Hagen Lesch.
„Das lag nicht zuletzt an der guten Arbeit der Mindestlohnkommission“, betont Lesch. „Sie hat den Mindestlohn maßvoll angepasst.“ Mit der bevorstehenden Anpassung zum 1. Januar 2025 sei der Mindestlohn seit der Einführung um mehr als 50 Prozent gestiegen, preisbereinigt um knapp 19 Prozent.
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf resümiert: „Nach zehn Jahren fällt die Bilanz des Mindestlohns positiv aus: Beschäftigte am unteren Ende der Lohnskala verdienen mehr, der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten ist zurückgegangen und die von Schwarzmalern befürchtete Massenarbeitslosigkeit ist nicht eingetreten“, sagt der Experte für Einkommensanalysen, Malte Lübker.
Mit dem Mindestlohn sollten ab dem 1. Januar 2015 Beschäftigte vor Niedriglöhnen bewahrt werden. Mit der Einführung vollzog Deutschland nach langem Streit, was die meisten europäischen Länder bereits Jahre zuvor umgesetzt hatten.
2015 startete der gesetzliche Mindestlohn mit 8,50 Euro pro Stunde. Seither stieg er über mehrere Stufen auf 12,41 Euro und wird zum Jahreswechsel auf 12,82 pro Stunde angehoben. Neben dem gesetzlichen Mindestlohn, der grundsätzlich für alle Branchen und Regionen gilt, gibt es auch höhere branchenspezifische Mindestlöhne.
Erhöhungen legt in der Regel die Bundesregierung auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner fest, der Mindestlohnkommission. Die Regierung beruft das Gremium alle fünf Jahre neu. Es besteht aus einem Vorsitzenden, je drei stimmberechtigten ständigen Mitgliedern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie zwei beratenden Mitgliedern aus der Wissenschaft ohne Stimmrecht. Grundsätzlich orientiert sich die Kommission an der Tarifentwicklung der vergangenen zwei Jahre.
Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen nennt den Mindestlohn in Deutschland eine „Erfolgsgeschichte“. Er habe im unteren Lohnsegment zu überdurchschnittlichen Steigerungen geführt. Profitiert hätten vor allem Beschäftigte in Ostdeutschland, in kleinen Betrieben, ohne Berufsausbildung, mit Migrationshintergrund, Frauen, befristet Beschäftigte und Arbeitskräfte in Branchen mit hohem Niedriglohnanteil wie das Gesundheits- und Sozialwesen, der Einzelhandel, das Gastgewerbe, unternehmensnahe Dienstleistungen sowie Taxi- und Kurierdienste.
Das Fachinstitut der Uni Duisburg-Essen kritisiert allerdings auch: Der Mindestlohn werde bei „einem nicht unerheblichen Anteil der Beschäftigten nicht in vollem Umfang gezahlt“, wie mehrere Studien belegten. Wie oft gegen die gesetzliche Lohnuntergrenze verstoßen wird, ist unklar. Die Größenordnungen liegen bei den unterschiedlichen Studien zwischen 510.000 und 3,2 Millionen Beschäftigten.
Auch Johannes Seebauer, beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Experte für Arbeit und Beschäftigung, weist darauf hin, dass viele Beschäftigte den Mindestlohn nicht erhalten. Daher sollten mehr Kontrollen und eine verbesserte Arbeitszeiterfassung eingeführt werden: „Zu überlegen wäre ferner, ob sich Unternehmen, denen Mindestlohnunterschreitungen nachgewiesen wurden, auf öffentliche Aufträge bewerben dürfen.“