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Gott braucht keine Opfer

Zur Heilsbedeutung des Sühnetodes Jesu.

Von Andreas Goetze

Karfreitag ist der Tag, der nicht sein sollte. Im Grunde müsste man ihn ausradieren aus den Kalendern. Denn wir sind harmoniebedürftige Menschen. Mit rastlosem Größenwahn und unendlicher Sehnsucht nach der eigenen Unschuld. Einblick nehmen in Verstrickungen? In das eigene, abgründige Ich? Nein, ein Tag, an dem nur auf das Dunkle und das Ausweglose gestarrt wird, gehört abgeschafft. Eigentlich.Karfreitag ist der Tag, der keine Ausflüchte zulässt. Aber nicht, um uns herabzuziehen und schlecht zu machen, sondern um uns Gottes liebevolles Handeln vor Augen zu führen. „Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2. Korinther 5,14b–21) ist die frohe Botschaft dieses Tages, in dem die Heilsbedeutung des Todes Jesu im Mittelpunkt steht. Um diese frohe Botschaft zu entdecken, sind drei Fragen grundlegend: Was ist Sünde? Was bedeutet Sühne? Und warum musste Jesus „für uns“ sterben?1. Was ist biblisch eigentlich mit Sünde gemeint?Auf keinen Fall: zu viel Kuchen zu essen. Sünde hat mit Moral nichts zu tun. Sünde meint nicht in erster Linie, sich von Gott zu entfernen, weil man etwas falsch macht. Sünde ist biblisch ein Beziehungsbegriff und kein ethischer Begriff. Ist die Beziehung zu dem anderen gestört, herrscht die Sünde, das heißt: Beziehungslosigkeit. Luther übersetzt: Misstrauen.Dabei wird Sünde als soziale Größe verstanden und nicht bloß individualistisch. Es ist eine Beschreibung des Zustandes, in dem wir Menschen leben. Die Bibel zeichnet ein realistisches Bild vom Menschen, kein aufgeklärt-idealistisches: Wir wünschen uns gelingende Beziehungen, doch letztlich sind unsere Beziehungen von Misstrauen, Abbrüchen, Leid und Schuld geprägt. Sünde ist ein Zustand mit Folgen. Wir werden fortgesetzt schuldig, etwa an den Schwachen in der Gesellschaft, an der Bevölkerung ärmerer Länder, an der Natur – und zwar durch unser bloßes Leben und Konsumieren. Sünde ist mehr als die Summe persönlicher Fehler. In die Sünde sind wir teilweise ungewollt und dennoch kollektiv verstrickt. Es geht um eine verheerende moralische Gesamtsituation, inklusive lebensfeindlicher politischer und sozialer Strukturen.2. Gott braucht kein Opfer – Sühne als Befreiung (nach Jesaja 53)Zunächst: Nicht Gott hat Jesus getötet, sondern es waren Menschen. Nicht Gott ist grausam, sondern wir. Schonungslos wird die Wirklichkeit von Tätersein und Opfersein ausgesprochen. Von Gottes Seite aus musste dieser Tod nicht sein.So heißt es in Jesaja 53, einem der Gottesknechtslieder, die schon frühchristlich zur Deutung des Todes Jesu herangezogen wurden (Jesaja 53,4): Unsere Krankheit hat der Gottesknecht getragen, das heißt seine Verletzungen gehen auf unser Fehlverhalten zurück. Wir haben sein Leid verursacht. Und wir sind immer wieder dabei, genauso zu handeln. Nicht der Gottesknecht selbst ist schuld daran.

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