Albert Schweitzer gilt als Vorbild. Berühmt wurde er als “Urwalddoktor” in Afrika. Über sein Wirken gehen die Meinungen zu seinem 150. Geburtstag auseinander.
Welches Erbe hinterlässt der deutsch-französische Theologe, Arzt und Philosoph Albert Schweitzer? Darüber gehen kurz vor seinem 150. Geburtstag am Dienstag (14. Januar) die Meinungen auseinander. Während Roland Wolf vom Deutschen Albert-Schweitzer-Zentrum in Offenbach die ethischen Ansätze Schweitzers als hochaktuell würdigte, blickte Medizinhistoriker Hubert Steinke kritisch auf das Wirken des “Urwalddoktors”.
Dessen Engagement im afrikanischen Lambarene, wo er 1913 sein berühmtes Krankenhaus gegründet hatte, sei zwar mit dem Friedensnobelpreis von 1952 gewürdigt worden. Dennoch habe in Lambarene “ein ganz klar patriarchales System” geherrscht. Außerdem sei Schweitzers Rhetorik, vor allem der späteren Jahre, “eminent kolonialistisch” gewesen, sagte Steinke der Zeitschrift “Publik-Forum”.
Lambarene sei als “Hilfe von Menschen für Menschen” konzipiert gewesen und habe für die lokale Bevölkerung durchaus eine besondere Bedeutung gehabt, räumte der Forscher ein. Aber dort habe “weitgehende Rassentrennung” bestanden. Für eine Zusammenarbeit von Weißen und Schwarzen sei auch Lambarene “kein Idealbild” gewesen, sagte Steinke, der Direktor des Instituts für Medizingeschichte an der Universität Bern ist.
Der vielbeschworene “Geist von Lambarene” sei ein Mix aus Herzlichkeit und Patriarchat gewesen. Schweitzer habe dort versucht, “eine Familie in einem einheitlichen Geist zu schaffen”. Dazu hätten aber nur Weiße gehört. Wer nach Lambarene kommen wollte, habe ein starkes Arbeitsethos und die Bereitschaft mitbringen müssen, “sich dem System fraglos unterzuordnen”, so Steinke. Die Harmonie habe nicht gestört werden dürfen – etwa durch Kritik an der Organisation. “An der Spitze stand Albert Schweitzer als Patriarch, der entschied, was gemacht wurde und was nicht”, sagte Steinke.
Roland Wolf vom Deutschen Albert-Schweitzer-Zentrum in Offenbach würdigte dagegen Schweitzers Kulturkritik, sein Werben für Tierschutz und die Verurteilung von Atomwaffen. Zugleich bedauerte er, dass diese Aspekte zunehmend in Vergessenheit gerieten. In den 1950er und 60er Jahren habe es noch einen regelrechten Hype um den Humanisten und Friedensnobelpreisträger gegeben. Inzwischen werde dieser kaum noch wahrgenommen, bedauert der Vorsitzende des Deutschen Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene.
Die Offenbacher Begegnungsstätte möchte laut eigenen Angaben das geistige Vermächtnis Schweitzers “wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein” bringen. Im Fokus soll dabei Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben stehen.