Willow Creek ist eine sogenannte Megachurch am Stadtrand von Chicago. Das Gemeindeaufbaukonzept des Kirchengründers Bill Hybels stellt die Ortsgemeinde in den Mittelpunkt. Eine besondere Rolle spielt dabei die Gemeindeleitung, denn, so das Ideal: „Wenn eine Führungsperson besser wird, profitiert jeder“. Daher lädt die Willow Creek Community jährlich zu Führungskongressen („Leadership summits“) ein. Eine Gruppe westfälischer Theologinnen und Theologen hat in den Sommerferien an dem Kongress teilgenommen. Dietmar Chudaska, Superintendent des Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten berichtet von seinen ganz persönlichen Erfahrungen mit „Willow“.
Warum lädt eine Megachurch zu einem Leitungskongress ein? Dazu muss man auf die Anfänge von „Willow“ blicken. Ausgangspunkt war die Frage „Wie müsste eine christliche Gemeinde arbeiten, damit Kirchenferne einen einfachen Zugang zu ihr finden?“ Bill Hybels, Pfarrer und Gründer der Gemeinde, begann vor 40 Jahren, seine Gemeinde mit Blick auf diese Frage zu leiten. Auf der Suche nach Antworten wurden innovative und richtungsweisende Ansätze gefunden, mit denen heute andere Gemeinden ermutigt werden sollen. Zunächst traf sich die Gemeinde in Kinos, später wurde keine Kirche, sondern ein riesiges Mehrzweck-Veranstaltungsgebäude mit 7500 Sitzplätzen errichtet. Statt Orgel steht eine Band auf der Bühne, dazu kommen Videoclips und andere verkündigende Entertainment-Elemente wie etwa Talkrunden oder auch Comedy. Dass zur Kirche professionelle Sound- und Lichttechnik gehört, versteht sich von selbst. Schließlich werden die Gottesdienste aufgezeichnet und über das Internet einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht.
Die Predigt ist in der Regel thematisch und nicht homiletisch aufgebaut. Faszinierend, wie es den Predigern gelingt, unterhaltsame Alltagsgeschichten mit elementaren biblischen Aussagen zu verknüpfen. Vielleicht sollte man nicht von Liturgie, sondern von Choreographie der Gottesdienste sprechen, denn Musik, Licht und Vortrag sind bis ins Detail aufeinander abgestimmt.
Willow Creek hat sich zu einer Megachurch entwickelt: 18 000 bis 20 000 Besucher in den drei Gottesdiensten am Wochenende, dazu 1800 Jungen und Mädchen in den Kindergottesdiensten. An Weihnachten sind es dann etwa doppelt so viele. Möglich wird dieses Gemeindeleben durch unzählige Ehrenamtliche.
Geht ein einzelnes Gemeindeglied nicht unter in einer solchen Masse? Die Gefahr besteht, aber es wird nach dem Grundsatz gearbeitet: Eine große Gemeinde muss klein gemacht werden. Im großen Auditorium ist die Gemeinde in Zuhörergruppen von etwa 200 Personen unterteilt, die einem Pastor zugeordnet sind. Während der Woche treffen sich die meisten in Hauskreisen mit zehn bis 15 Personen.
Während des Kongresses stand immer am Anfang die Feststellung: „Leadership matters“: Führung ist von Bedeutung. Leitungen von Kirchen und Unternehmen sind verantwortlich für ihr Personal, und wenn die Verantwortlichen besser werden, dann ist das gut für die gesamte Organisation. Allerdings würde man dem Leiter der Gemeinde, Bill Hybels, nicht gerecht, wenn man ihm nur den Wunsch nach Professionalität unterstellen würde. Er wird nicht müde zu betonen, dass die Ortsgemeinde die Hoffnung für die Welt ist. Vor Ort, gleichgültig an welchem Ende der Erde, sollen Gemeinden ihren Glauben leben, sich einbringen, um ihr Umfeld zu prägen.
Glauben, Dienen und Wertschätzung von Menschen gehen Hand in Hand. Das ist in Chicago eindrücklich zu sehen. Die Kleiderkammer der Gemeinde sieht aus wie ein Modegeschäft. Die Tafel ist wie ein Supermarkt gestaltet. Zum Care-Center von Willow gehört eine eigene Autowerkstatt, denn wer kein intaktes Fahrzeug hat, kann kaum am normalen Leben teilnehmen. Nicht zu vergessen die Zahnarzt- und Augenklinik, in der Ehrenamtliche arbeiten. Alles Orte, wo Menschen, die in Armut gelangt sind, Unterstützung erfahren und ihnen die Liebe Gottes praktisch bezeugt wird.
„Jeder ist bei uns willkommen“, ist so ein anderer Grundsatz. Als Konsequenz wurde ein eigener Arbeitszweig für die spanisch sprechenden Männer und Frauen eingerichtet, die oft illegal im Land sind. Die Verantwortlichen nennen sie lieber „Menschen ohne Dokumente“. Rechtsanwälte, die zur Gemeinde gehören, helfen ihnen, zu Menschen mit Dokumenten zu werden.
Am Ende waren es dennoch nicht die Zahlen, die besonders beeindruckten. Angerührt hat die Tatsache, dass die Gemeinde eine Einheit lebt, die ihren Mittelpunkt im Gottes-Dienst hat. Angerührt hat die Hingabe und die Herzlichkeit jedes einzelnen Mitarbeitenden und das Bemühen, alles, was in Angriff genommen wird, mit der Liebe zu Gott zu tun und darum mit einer besonderen Qualität und Verbindlichkeit. Ob wir nach diesem Kongress in Chicago als Gemeindeleiter besser geworden sind, weiß ich nicht. Aber die Begegnungen mit den Menschen und der Arbeit von Willow Creek begeistert und inspiriert uns. Sie haben unseren Horizont geweitet und unterstreichen, dass Gott in der Gemeinde Jesu Christi – also gerade auch in jeder Ortgemeinde – viel mehr möglich machen kann als wir uns vorstellen können.