Ablass? Das sind doch diese Zettel, die der Dominikanermönch Tetzel mit dem Versprechen der Sündenvergebung damals, zu Luthers Zeiten, verkaufte. „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“, hieß sein Werbeslogan. Und jeder Konfirmand, jede Konfirmandin hat im kirchlichen Unterricht gehört, wie Martin Luther gegen diese Verfälschung der göttlichen Gnade wetterte: Vergebung der Sünden, so Luther, gibt es nur aus Glauben. Keine Macht der Welt – auch nicht der Papst – hat auf diesen Vorgang zwischen Gott und Mensch irgendeinen Einfluss.
Der Ablass erscheint aus reformatorischer Sicht als Freibrief für Sünder, in dem gegen Bezahlung nur noch einmal bestätigt wurde, was Jesus am Kreuz ein für alle Mal vollendet hat. Aber was ist der Ablass wirklich?
Die Idee: Sünde muss getilgt werden
Um das zu verstehen, muss man sich die historischen Veränderungen des Bußgedankens von der Alten Kirche bis ins Mittelalter hinein näher ansehen. Er war geprägt von der Idee, dass Sünde durch Buße getilgt werden muss. Der Ablass entwickelte sich dabei als Möglichkeit, von den von der römischen Kirche verhängten Bußstrafen teilweise oder ganz befreit zu werden – einen Nachlass oder eben Ablass auf diese Strafe zu bekommen.
Die Botschaft des Evangeliums heißt: Vergebung für den Sünder geschieht durch Gottes Gnade, die im Kreuz Christi manifest geworden ist. Wer seine Sünden beichtet und aufrichtig bereut, wird von seiner Schuld befreit.
Schon in den neutestamentlichen Briefen aber wird klar: Damit sind die Auswirkungen der bösen Tat noch nicht aus der Welt. Sie wirken nach – sowohl im irdischen wie im jenseitigen Leben. Die Sünde hinterlässt Spuren beim Sünder wie auch bei denen, die von der Sünde geschädigt wurden.
Ein Beispiel: Ein betrogener Geschäftspartner leidet darunter, dass ihm Geld vorenthalten wurde; eventuell wurde er sogar ruiniert. Aber auch der Betrüger leidet: an dem Verlust der Geschäftsbeziehung, an einem schlechten Ruf, vielleicht auch an der Abwendung weiterer Kunden.
Diese Auswirkungen der Sünde musste der Sünder, so gut es ging, tilgen – in unserem Beispiel etwa dadurch, dass er dem betrogenen Geschäftspartner seinen Schaden ersetzte und sich selbst in der Folge besonders ehrlich und zuverlässig verhielt. Erst wenn er seine Gesinnung verbessert und Wiedergutmachung geleistet hatte, wurde er wieder offiziell in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen.
Ursprünglich gab es ohne Buße keine Absolution
Das konnte unter Umständen Jahre dauern – ein enorme Belastung für den Büßer, aber auch für die Gemeinde. Im Laufe der Zeit wurde es daher möglich, bestimmte Bußleistungen wie Almosen, Pilgerfahrten oder Gebete an die Stelle der direkten Wiedergutmachung zu setzen. Über die Form und das Ausmaß dieser Bußleistungen wachte die Kirche. Ganze Buß-Kataloge legten bis ins kleinste Detail fest, welche Sünde wie gesühnt werden musste.
Aber trotz des Sühnetodes Christi und aller Bußleistungen: Eine vollständige Reinigung erreichte der Sünder zu Lebzeiten nicht. Es gab nach Lehre der Kirche keinen anderen Ausweg, als die zeitlichen Sündenstrafen durch die – immerhin zeitlich begrenzten – Qualen im Fegefeuer abzubüßen. Vor allem diese Vorstellung machte den Menschen im Mittelalter Angst und ließ sie nach Möglichkeiten suchen, die Strafe zu verkürzen.
Zu diesem Zweck unterstützten die Priester ihre Beichtkinder mit Fürbitten – ein ursprünglich rein seelsorgliches Angebot, das deutlich machte: Heiligung ist für den Einzelnen nur in der Gemeinschaft der Gläubigen möglich. Nach und nach aber wurde die Fürbitte zu einer festen Leistung, die ebenfalls gegen genau festgelegte gute Werke angeboten wurde.
Gleichzeitig entwickelte sich der Gedanke vom „Gnadenschatz“ der Kirche: Das Gott wohlgefällige Leben Jesu, Marias und der Heiligen wurde als eine Art Überangebot an Gnade verstanden, das die Kirche verwalten und an die weiterverteilen konnte, die es nötig hatten. Wer an diesem Gnadenschatz teilhaben wollte, musste ganz bestimmte Bedingungen erfüllen – etwa an einer Dom-Weihe teilnehmen, oder zu bestimmten Reliquien-Heiligtümern pilgern. Allerdings waren die Nachlässe auf die Gesamtstrafe zunächst noch relativ gering.
Der Schritt zum eigentlichen Ablass wurde im 11. Jahrhundert in Frankreich getan: Jetzt gab es die Möglichkeit, dass die Kirche in einem juristischen Akt dem Gläubigen einen Teil oder das Ganze seiner Kirchenbuße erließ. Die zeitliche Sündenstrafe galt damit als getilgt; eine Bußleistung war daher nicht mehr nötig. Betont wurde allerdings immer, dass die Einstellung des Sünders für die Wirkung des Ablasses ausschlaggebend war.
Weitere Entwicklungen waren das Aufkommen vollkommener Ablässe, die erstmals den Kreuzfahrern erteilt wurden, sowie die Vorstellung, dass sie auch bereits Verstorbenen zugeeignet werden konnten. Seinen Höhepunkt erreichte der Ablasshandel dann im Spätmittelalter, als Kirchenfürsten auf die Idee kamen, ihn als lukrative Verdienstmöglichkeit für eigene Zwecke zu missbrauchen.
Luthers Kritik: Das Heil lässt sich nicht kaufen
An dieser Stelle setzte Luthers Ablass-Kritik an. Sie beschränkte sich jedoch längst nicht auf den finanziellen Missbrauch. Vielmehr ging es Luther um grundlegende Glaubensfragen: Das Heil lasse sich nicht mit menschlichen Werken erkaufen, und schon gar nicht mit Geld. Allein aus Gnade, allein aus dem Glauben erlangt der Mensch Vergebung – das ist der Kern der reformatorischen Botschaft.
Die Kritik Luthers und anderer Theologen führte schnell dazu, dass der Verkauf von Ablässen gegen Geld verschwand. An der grundsätzlichen Lehre von der Möglichkeit, durch den Ablass von Sündenstrafen befreit zu werden, hält die katholische Kirche bis heute fest – bei allen theologischen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben.