Üblicherweise reden Priester und Laien in den Kirchen in gesprochener Sprache. Menschen, die nicht hören oder sprechen können, finden wenig Berücksichtigung. Die Ordensschwester Judith Beule sieht Nachholbedarf. Anlässlich des Internationalen Tags der Gebärdensprache sprach die Koordinatorin der Seelsorge für und mit Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung und taubblinde Menschen im Erzbistum Paderborn mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über ihre Alltags- und Arbeitserfahrungen als taubblinde Seelsorgerin und über das Zusammenleben in ihrer Ordensgemeinschaft mit hörenden Schwestern. Die 31-Jährige ist außerdem Sprecherin für die Sparte Gehörlosenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz.
KNA: Schwester Judith, inwieweit gibt es kirchliche Angebote für taube Menschen?
Sr. Judith: Es gibt seit einigen Jahren eine Vernetzung unter den Gehörlosenseelsorger*innen aus verschiedenen Bistümern. Dadurch ist die Internetplattform “taub+katholisch” entstanden, die unterschiedliche Angebote bietet: Bibeltexte, Lieder in Gebärdensprache, Online-Gottesdienste und Chat-Seelsorge.
Manche Bistümer haben Verantwortliche für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung, einige davon sprechen selbst Gebärdensprache. In anderen Bistümern kümmert sich eine Person um Behindertenseelsorge im Allgemeinen. Im Bistum Aachen beispielsweise arbeitet ein tauber Diakon in Gebärdensprache, im Bistum Rottenburg-Stuttgart ein taubblinder Diakon. Ich selbst arbeite im Erzbistum Paderborn als Ordensschwester. Allerdings können die meisten Priester und Gemeindereferenten keine Gebärdensprache. Taube Menschen sind in hörenden Gemeinden eine kleine Minderheit. Es kostet sie Kraft, sich für eine*n Dolmetscher*in einzusetzen.
KNA: Wie singt man denn in Gebärdensprache?
Sr. Judith: Es ist nicht einfach der Text, der in Gebärdensprache übersetzt wird. Aus Handgebärden wird Kunst und Poesie. Der Text muss visuell erfahrbar werden.
KNA: Sie selbst arbeiten als Koordinatorin der Seelsorge für und mit Menschen mit Hör- und Sprachbehinderungen und mit taubblinden Menschen im Erzbistum Paderborn. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Sr. Judith: Seit meinem Dienstbeginn vor einem Jahr habe ich neue Ideen eingebracht und mich dafür stark gemacht, dass bei verschiedensten Veranstaltungen die Gebärdensprache zum Einsatz kam. Zum Beispiel war in diesem Jahr die “Nacht der Lichter” das erste Mal in Gebärdensprache. Ich war mit tauben Jugendlichen beim Weltjugendtag in Lissabon. Für das kommende Jahr planen wir das Pontifikalamt zu Libori mit Gebärdensprache.
Ich führe Seelsorgegespräche, habe in diesem Jahr Besinnungstage angeboten und gemerkt, dass das Interesse groß ist. So biete ich auch im nächsten einen inklusiven Besinnungstag und ein Besinnungswochenende für taube Menschen an.
KNA: Das klingt nach einem vollen Arbeitstag…
Sr. Judith: Außerdem bin ich auch noch behilflich, Gebärdensprachdolmetscher*innen zum Beispiel für eine Taufe, Erstkommunion, Firmung oder Beerdigung zu organisieren oder die Aufgabe selbst zu übernehmen. Insgesamt ist der Bedarf an Gehörlosenseelsorge höher, als ich mit meiner halben Stelle decken kann.
KNA: Wie stellen Sie sich die Inklusion von tauben Menschen in der Kirche im Idealfall vor?
Sr. Judith: Mein Traum ist, dass alle tauben Menschen in Gemeinden integriert werden. Dafür braucht es aber Dolmetscher, und diese kosten viel Geld. Im besten Fall gibt es inklusive Angebote: In der Kölner Kirche Sankt Georg zum Beispiel finden jede Woche Gottesdienste in Gebärden- und gesprochener Sprache statt.
Manchmal ist es für taube Menschen aber auch ein Schutzraum, unter sich zu sein. Die Gottesdienste sind dann nämlich ihren Bedürfnissen angepasst. Zum Beispiel wird der Bibeltext visuell dargestellt. Die tauben Menschen beteiligen sich mit Liedern in Gebärdensprache. Sie ist eine eigene Sprache, und die tauben Menschen bringen damit ihre eigene Kultur mit. Gottesdienste speziell für taube Menschen helfen dabei, Gott in der eigenen Muttersprache zu entdecken.
KNA: Schaut die Kirche genug auf Menschen mit Behinderung?
Sr. Judith: Es gibt erste Veränderungen, aber wir brauchen bei dem Thema viel mehr Offenheit. In Kirchen ist es dunkel, das ist schwierig für sehbehinderte Menschen. Dolmetscher für eingeschränkt Hörende fehlen. Vielen Kirchen fehlt eine Rampe für den Zugang mit Rollstuhl und Rollator. Der Gebrauch der “Leichten Sprache” im Gottesdienst wäre eine Hilfe für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen.
KNA: Was kann eine Pfarrei vor Ort ganz konkret tun?
Sr. Judith: Menschen mit Behinderung einladen und ihnen ermöglichen, sich aktiv in die Gemeinde einzubringen. Durch ein offenes Miteinander kann eine lebendige Vielfalt entstehen und die Kirche bereichern. Es müssten auch mehr Menschen mit Behinderung eingestellt werden. Dies wäre eine Bereicherung für die Kirche. Dafür braucht es entsprechende Qualifizierungen, und das Theologiestudium oder die Ausbildung zur Gemeindereferent*in müssten beispielsweise für taube Menschen zugänglich werden.
Ich selbst gehöre zu einer Gruppe, die gerade die Qualifizierung “Dienende Seelsorge für taube Menschen” initiiert hat. Es werden über zwei Jahre theologische Grundkenntnisse vermittelt und taube Menschen werden befähigt, als Seelsorger*innen zu arbeiten.
KNA: Sie selbst sind 2015 in den Orden von den Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel eingetreten. Wie gestaltet sich der Alltag in ihrem Kloster zwischen hörenden und nicht-hörenden Schwestern?
Sr. Judith: Wir lernen miteinander, wir nehmen aufeinander Rücksicht. Ich habe den anderen Schwestern Basisgebärden vermittelt. Außerdem lernen einige Schwestern Lormen, eine Sprache für taubblinde Menschen. Ich bin darauf angewiesen, dass meine Mitschwestern langsam mit mir sprechen und mich anschauen, damit ich auch von den Lippen absehen kann. Der Namen meines Konventes “Immanu-El”, zu dem ich gehöre, ist bei uns Programm: Wer auch immer kommt, wer immer auch da ist – Gott ist mit uns. So wollen wir als kleine geistliche Gemeinschaft begeistern und offen sein für alle Frauen, auch Frauen mit einer körperlichen- oder Sinnesbehinderung.