Adventszeit. Weihnachtszeit. Besinnliche Zeit. Besinnlich?
In der Wahrnehmung vieler ist das ausklingende Jahr eher mit Hektik und Stress verbunden. Geschenke sind noch zu besorgen, Grußkarten zu schreiben, Päckchen zu packen und zu versenden, damit sie ihre Adressaten rechtzeitig erreichen. Auch die Wohnräume wollen dekoriert und der Gaumenschmaus für die Festtage will besorgt sein. Zusätzlich gesteigert wird innere Unruhe durch erzwungene Wartepausen vor den Kassen der menschenvollen Warenhäuser und Supermärkte, wo die Kundenschlangen jetzt besonders lang sind. Für manchen sind Kirchen, die mit ihrem dicken Gemäuer selbst Weihnachtsmarkttrubel in unmittelbarer Nähe außen vor lassen, da willkommene Oasen der Ruhe und Entspannung. Sie zu suchen, ist wichtig (siehe Seite 12). Dann kann eben noch verspürter Druck, kann alle Hektik abfallen und der Vorfreude auf Weihnachten und erwartungsfrohe Gesichter derer weichen, denen man mit dem, was da in Einkaufstüten zu Füßen steht, Freude bereiten möchte. Die positive Seite des zuvor noch als zermürbend empfundenen Weihnachtsstresses leuchtet auf. Und das scheint häufiger so empfunden zu werden als vermutet, wenn Ruhezeit Raum gegeben wird. So rangiert auf einer von den Psychiatern Thomas Holmes und Richard Rahe entwickelten Stresswertskala mit einer Spanne von 0 bis 100 für positive wie negative Lebensereignisse Weihnachtsstress mit einem vergleichsweise geringen Wert von 13 auf Rang 42. (Übrigens steht „Urlaub“ in der Skala noch davor auf Position 41, stresst also etwas mehr.) Der kanadisch-ungarische Forscher János Selye nennt die positive Stress-Variante „Eu-Stress“, also „schönen“, „guten“, letztlich „gesunden“ Stress. Der ist nach der Definition immer dann gegeben, wenn Stressfaktoren den Organismus positiv beeinflussen. Hochzeitsvorbereitungen etwa zählen dazu. Selbst wenn der Druck länger andauert, bleibt das so, hat Selye festgestellt. In diesem Sinn Eu-Stress bewirken auch Tätigkeiten, wo Menschen anderen Freude bereiten, sich für eine gute Sache engagieren. Dabei setzt die positive Grundmotivation besondere Leistungskräfte frei, die Glücksgefühle auslösen können. Wer in seiner Kirchengemeinde etwa einen Advents- oder Weihnachtsbasar durchführt, um mit dem Erlös ein soziales Projekt, die gemeindeeigene Jugendarbeit oder die Orgelsanierung mitzufinanzieren, kennt solche Gefühle. Die Freude über die Sinnhaftigkeit macht letztlich allen Druck, den das Eingespanntsein in eine solche Aktion mit sich bringt, vergessen. Von solchem Stress können auch Kirchenmusiker, deren Terminkalender jetzt prall gefüllt ist, ein Lied singen. Und es ist kein Klagelied. Sondern ein gutes, ein schönes Lied. Eines, dessen Eu-Stress-Wirkung BearBell vom Posaunenwerk der Evangelischen Kirche in Westfalen so beschreibt: „Wenn um 17.30 Uhr der Weihnachtsgottesdienst beginnt, dann fällt alles ab. Dann ist Weihnachten.“