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Fußballer Günter Netzer zum 80. Geburtstag

Er gehört zu den schillerndsten Figuren der deutschen Fußballgeschichte: als begnadeter Kicker, Lebemann, Manager und Kommentator. In jeder Funktion lag Günter Netzer weit über dem Durchschnitt der jeweiligen Zunft.

Es sind zwei Einwechslungen, die eine Menge über den Weltstar Günter Netzer erzählen. Die erste in der Verlängerung des Pokalfinales gegen den 1. FC Köln, Netzers letztem Spiel im Dress von Borussia Mönchengladbach, am 23. Juni 1973: Der wegen eines Trauerfalls geschonte Spielmacher zieht sich die Trainingsjacke aus, trottet an seinem verdutzten Trainer Hennes Weisweiler vorbei, wechselt sich selbst ein und schießt in seiner ersten Aktion den Ball zum entscheidenden 2:1 in den linken Torgiebel.

Die zweite Szene, gut ein Jahr später: Bundestrainer Helmut Schön setzt bei der Heim-WM 1974 auf den Kölner Wolfgang Overath als Spielmacher. Den formschwachen Netzer bringt er nur ein einziges Mal: in der 70. Minute beim verkorksten Vorrundenspiel in Hamburg gegen den Klassenfeind DDR. Kaum ist Netzer auf dem Platz, fällt auf der gegenüberliegenden Seite der legendäre 1:0-Siegtreffer für die DDR – das “Sparwasser-Tor”. Netzer gibt später, nach dem 2:1-Finalsieg der BRD gegen die Niederlande, zu Protokoll, er persönlich fühle sich mangels eigenen Beitrags gar nicht wirklich als Weltmeister.

Am kommenden Samstag (14. September) wird Günter Netzer, Weltstar aus Mönchengladbach und seit einem halben Leben Wahl-Schweizer, 80 Jahre alt. Er war ab den späten 1960er Jahren der erste Bundesligaspieler mit Extravaganzen; mit langen Haaren, schnellen Autos, schicken Frauen; ja er unterhielt in seiner braven Heimatstadt am Niederrhein sogar einen eigenen Nachtclub – in dem er durchaus auch selbst als Attraktion auftauchte.

Sein Trainer Weisweiler, sittenstreng und in fast jeder Hinsicht eher vom alten Schlage, ließ ihm das durchgehen; aber nur weil Netzer auf dem Platz stets Leistung brachte und die junge “Fohlen-Elf”, so ihr Spitzname, als Leader von Erfolg zu Erfolg führte. Nicht dass er stets kämpferisch nachgesetzt und den Gegnern an den Hacken geklebt hätte – dafür hatte die Nummer Zehn ihren treuen Adjutanten Herbert “Hacki” Wimmer… Nein: Netzer trieb das Gladbacher Spiel mit langen, oft genialen Pässen zu stets häufigen Torerfolgen. Er “kommt aus der Tiefe des Raumes”, nannten das ehrfürchtig die Reporter. Einen “Stehgeiger” nannte ihn später ein – kurzzeitig verärgerter – Bundes-Teamchef Rudi Völler.

Gladbach, das inzwischen auf Augenhöhe mit dem FC Bayern die Bundesliga dominierte, wurde als Spielwiese zu klein für den Ferrari-Fahrer vom Niederrhein. Der Weltclub Real Madrid rief – und zahlte 1973 nicht nur eine Rekordablöse, sondern auch noch den Privatkredit ab, den Netzer bei seinem Arbeitgeber Borussia für seinen Lebensstil aufgenommen hatte. So gesellten sich zu den zahlreichen deutschen Titeln auch noch jene als spanischer Meister und Pokalsieger.

Der märchenhaften Vereinskarriere, die Netzer 1976/77 noch mit einem Ad-On-Jahr bei den Grashoppers aus Zürich krönte, steht eine eher begrenzte in der Nationalmannschaft gegenüber: Einzig der EM-Titel 1972 mit der “besten deutschen Mannschaft aller Zeiten” sticht heraus. Die WM 1970 verpasste Netzer verletzt; die EM 1968 sogar Deutschland insgesamt – nachdem Netzer und Overath als “Doppel-Regisseure” in der “Schmach von Tirana” (0:0 gegen Albanien) die Qualifikation vergeigt hatten. Dem 0:1 gegen die DDR bei der WM 1974 folgte 1975 ein maues 1:1 gegen Griechenland und der Rücktritt im Nationaldress.

Dass Netzer deutlich mehr im Kopf hatte als Kicken, bewies er nach seiner aktiven Karriere als Sport-Businessman in der Schweiz und als Manager des Hamburger Sportvereins (HSV). Dem – inzwischen weit abgestürzten – Traditionsclub bescherte er in seiner Amtszeit mit innovativen Marketing-Ideen und spektakulären Transfers die erfolgreichste Phase der Vereinsgeschichte.

Unvergessen auch Netzers jahrelange TV-Präsenz als Fußballkommentator mit seinem Antipoden Gerhard Delling (bis 2010). So gewählt drückten sich die beiden (besonders Netzer) in ihren fingierten Streitgesprächen aus, dass es sich zeitweilig wie ein Proseminar zu Pronomina anhören konnte: über dieses und jenes, welches die deutsche Mannschaft heute nicht auf den Platz gebracht habe. Immerhin: Es trug Netzer zwei weitere Titel seiner langen Karriere ein – den Grimme-Preis und den Medienpreis für Sprachkultur.