Sehenswerter Dokumentarfilm im Stil des Direct Cinema über die österreichische Arbeiterkammer, eine einzigartige Institution, die sich um die Belange von Arbeitnehmern – auch während der Pandemie – kümmert.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Ein aufschlussreich-unterhaltsamer Dokumentarfilm über die österreichische Arbeiterkammer (AK), eine einzigartige Institution, die als Interessenvertretung und Rechtsbeistand für Arbeiter und Angestellte fungiert.
Der Film von Constantin Wulff von 2022 beobachtet den Alltag im Gebäude der Arbeiterkammer Wien und die Vorbereitungen zu ihrem 100-jährigen Bestehen im Jahr 2020. Doch dann bricht die Corona-Pandemie über die Stadt herein und wirft alle Pläne des Filmemachers über den Haufen.
Der im Stil des “direct cinema” gedrehte Film lässt auch dies ungefiltert miteinfließen, inklusive der Folgen für die AK Wien, aber auch für das Filmprojekt. Das Resultat ist ein Porträt einer traditionsreichen Institution, die es gewohnt ist, mit Geduld und Pragmatismus auf Herausforderungen aller Art zu reagieren.
Seit fünf Monaten haben die Bauarbeiter keinen Lohn mehr erhalten, klagt der Bauleiter. Alle seien am Limit und wüssten nicht, wie sie weiterleben sollen. Er schildert die Situation in einem Büro, in dem man ihm aufmerksam zuhört und den Sachverhalt notiert. Ein Mitarbeiter erklärt den Übervorteilten laut und deutlich, wie es weitergeht, denn nicht alle sprechen fließend Deutsch. Das Büro befindet sich in der Vertretung der österreichischen Arbeiterkammer (AK) in Wien.
Die 1920 gegründete Einrichtung fungiert als gesetzliche Vertretung für alle Arbeitnehmer in Österreich. Hat man Probleme mit Arbeitsverträgen, Arbeitsbedingungen oder wird von Arbeitgebern um den Lohn geprellt, findet man hier Trost, Beratung und Rechtsbeistand. 700 Menschen arbeiten bei der AK Wien; täglich gibt es Dutzende Beratungen. Für Regisseur Constantin Wulff war der 100. Geburtstag dieser einzigartigen Institution der Anlass, ihren Alltag in ihrer Niederlassung in Wien zu filmen und dadurch ihre Geschichte und Funktionsweise darzulegen.
Im Eingang des riesigen Gebäudes der AK Wien steht eine fast mannshohe moderne Skulptur: eine aus vielen Nadeln zusammengesteckte rote Faust – das Symbol der Arbeiterklasse. Denn auch im 21. Jahrhundert existieren noch jede Menge Ungleichheit und Ausbeutung, was der Film “Für die Vielen” anhand des Schicksals einzelner Arbeiter und Angestellter verdeutlicht. Sie werden eingeschüchtert, erpresst und betrogen, skrupellos und unter fadenscheinigen Gründen entlassen oder erhalten schlicht keinen Lohn.
In der Empfangshalle der AK Wien werden die Hilfesuchenden – viele von ihnen sind aufgelöst, verzweifelt oder am Ende ihrer Kräfte – freundlich empfangen und in die Beratungszimmer geschickt. Mehrsprachige Mitarbeiter tun dies auch auf Serbisch, Ungarisch oder in anderen Sprachen. Wenn sich eine juristische Auseinandersetzung nicht vermeiden lässt, unterschreiben die Arbeitnehmer eine Vollmacht, damit die AK sie vor Gericht vertreten kann.
Doch plötzlich erfolgt eine Zäsur, die Folgen für das Funktionieren der AK Wien hat. Die Corona-Pandemie ist auch in Wien angekommen. Auf einmal werden Ratsuchende auf Abstand gehalten, einige tragen Latexhandschuhe. Die für die Ratsuchenden so wichtigen persönlichen Gespräche werden heruntergefahren; man weicht auf E-Mail-Verkehr und Telefonate aus. Schließlich wird das Gebäude komplett geschlossen und von einer Anlaufstelle zum Geisterhaus. Leere Gänge, Beratungszimmer und Empfangstresen bestimmen nun das Bild.
Auch für Regisseur Constantin Wulff und seine Crew verändern sich die Gegebenheiten radikal. Die Dreharbeiten müssen unterbrochen werden. Da Wulff im Stil des Direct Cinema arbeitet, sich von Geschehnissen leiten lässt und ihnen nicht das eigene Konzept überstülpt, fließen diese Veränderungen auch in den Film ein. Einige Monate geht die Produktion weiter. Die Mitarbeiter der AK werden mal mit, mal ohne Maske gefilmt, und auch die Filmcrew hat sich mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen auf die neuen Zeiten eingestellt.
Die Fragestellung der AK Wien hat sich ebenfalls erweitert. Wie kann sie in Ausnahmezeiten ihren Betrieb so ausrichten, dass man weiterhin Anlaufstelle bleibt und die meisten Pflichten erfüllen kann, ohne die Mitarbeiter zu gefährden? Es wird digital aufgerüstet; neue Kommunikationskonzepte werden erarbeitet.
Die teilweise ohnehin schon dramatische Lage der AK-Klientel verschärft sich durch die Pandemie zusätzlich, denn die Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt sind verheerend. Die AK Wien versucht im Rahmen ihrer Möglichkeiten sich anzupassen: Kundenberatungen werden hinter Scheiben geführt, vor denen die Hilfesuchenden an langen Tischen mit viel Abstand sitzen und ihre Anliegen vortragen.