“Der Angriff auf die Synagoge in Halle war einer der widerwärtigsten antisemitischen Akte seit dem Zweiten Weltkrieg”, sagte Generalbundesanwalt Kai Lohse in seinem Schlussplädoyer im Prozess über den rechtsterroristischen Anschlag vom 9. Oktober 2019. Im Dezember 2020 erging das Urteil: Der 28-jährige Täter wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Stephan B. hatte am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur schwer bewaffnet versucht, in der Synagoge ein Massaker anzurichten, wo sich zum Tatzeitpunkt 51 Gottesdienstteilnehmende befanden. Er eröffnete das Feuer auf die Synagogentür. Als ihm das Eindringen misslingt, erschießt er erst eine 40-jährige Passantin vor der Synagoge, dann einen 20 Jahre alten Maler-Azubi in einem nahen Döner-Imbiss und verletzt auf seiner Flucht weitere Menschen, zwei davon schwer. Der Täter filmte seine Taten und streamte sie live im Internet. Bis zuletzt zeigte er im Prozess keine Reue für seine Taten.
Gedenkakt um 17 Uhr in der Ulrichskirche Halle
Zum fünften Jahrestag des Attentats an diesem Mittwoch findet mehrere Veranstaltung in Halle statt. Der zentrale Gedenkakt beginnt um 17 Uhr in der Ulrichskirche. Zum Zeitpunkt des damals ersten Schusses, um 12.03 Uhr, läuten alle Kirchenglocken der Stadt. Ebenfalls bereits am Mittag findet in der Synagoge ein Gedenken mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt. Im Anschluss erhält die Jüdische Gemeinde feierlich eine neue Thora-Rolle, deren letzter Buchstabe dann geschrieben wird.
“Der Attentäter wollte das jüdische Leben in Halle zerstören. Das ist ihm nicht gelungen. Die neue Thora ist für uns jetzt auch ein Zeichen neuen Lebens”, sagt der Gemeindevorsitzende Max Privorozki auf Anfrage. Auf die Frage, inwieweit seine gut 500 Mitglieder umfassende Gemeinde überhaupt wieder zur Ruhe kommen kann, antwortet er achselzuckend: “Wir arbeiten weiter. Die gesamte Welt kommt ja nicht zur Ruhe.” Die Solidarität nach dem Attentat sei damals unglaublich groß gewesen. “Aber das ist nicht automatisch so. Jetzt im Zuge des Kriegs gegen Israel vermisse ich sie ein wenig. Da würde ich mir noch klarere Statements wünschen.”
Auch am zweiten Tatort, dem Döner-Imbiss, ist ein Gedenken geplant
Auch am zweiten Tatort, dem Döner-Imbiss, ist am Abend ein Gedenken geplant. Der ehemalige “KiezDöner” heißt inzwischen “Tekiez” und ist nurmehr ein Gedenkraum, an dem zweimal wöchentlich nachmittags die Türen geöffnet sind, um Kaffee zu trinken, gemeinsam zu kochen, sich auszutauschen, zu trauern und zu erinnern. Daneben gibt es Veranstaltungen wie Lesungen und Workshops. Die Initiative kam von den Betreibern Ismet und Rifat Tekin, die mitansehen mussten, wie in der Attentäter in ihrem Laden einen Mann erschoss.
Im “Tekiez” hängen Flyer und Plakate, die zeigen sollen, dass der Anschlag von Halle Teil einer lange Reihe rechtsextremer Gewalttaten ist. “Für uns ist die Erinnerung sehr präsent, aber sie in der Öffentlichkeit wach zu halten, ist sehr schwierig. Das Interesse konzentriert sich doch sehr auf konkrete Anlässe wie eben jetzt”, berichtet Projektkoordinatorin Yamin Hamid auf Anfrage.
“Nach wie vor ist dieser Ort für viele Überlebende wichtig”
Auch erkennt die Stadt ihres Erachtens das “Tekiez” nicht wirklich als Gedenkort an. Zwar sei die Finanzierung bis Ende 2025 gesichert, die weitere Zukunft aber offen. “Nach wie vor ist dieser Ort für viele Überlebende wichtig, das berichten sie uns immer wieder. Schon das Wissen, dass es diesen Gedenkort überhaupt gibt, gibt ihnen Kraft, selbst wenn sie gar nicht hier in der Nähe wohnen”, erzählt Hamid.
Die Synagoge in Halle hatte zum Zeitpunkt des Anschlags keinen Polizeischutz. Das führte im Nachgang zu einer bundesweiten Überprüfung der Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Gotteshäuser. Bund und Länder sagten zu, Synagogen besser zu schützen. Recherchen des “Mediendienstes Integration” ergaben, dass die meisten Bundesländer seitdem Gelder für zusätzliche Schutzmaßnahmen an jüdische Einrichtungen zahlen. Zuvor hatten viele jüdische Gemeinden Maßnahmen wie Poller, Einlassschleusen, Videoüberwachung und Sicherheitspersonal selbst finanzieren müssen.