Er ist ein Mann der klaren Worte. Das stellte er auch in der Frankfurter Paulskirche unter Beweis. Bei der Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Buchhandels kritisierte Historiker Karl Schlögel nicht nur Wladimir Putin.
Der Historiker und Osteuropa-Kenner Karl Schlögel (77) hat am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung gehört zu den wichtigsten in der Bundesrepublik. In der Urkunde zur Preisverleihung hieß es unter anderem: “Seine Mahnung an uns: Ohne eine freie Ukraine kann es keinen Frieden in Europa geben.”
In ihrer bewegenden Laudatio dankte die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin Katja Petrowskaja Schlögel dafür, in seiner Arbeit die menschliche Dimension hinter Geschichte und Politik nie aus den Augen zu verlieren: Er habe zur Annäherung über Staatsgrenzen beigetragen wie kaum ein anderer – vor allem durch die direkte Begegnung mit Menschen: “Karl Schlögel hat die Verflechtungen der menschlichen Schicksale freigelegt, die unter den Ablagerungen der Ideologien verschüttet waren.”
Schlögel selbst kritisierte in seiner aufrüttelnden Dankesrede den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den deutschen Umgang mit ihm mit scharfen Worten: “Die Angst ist seine wichtigste Waffe”, charakterisierte er den Machthaber und warf ihm unter anderem “ethnische Säuberungen” vor: “Das Unheil, das Putins Russland über die Ukraine gebracht hat, hat viele Namen: Imperialismus, Revisionismus, Mafia-Staat, Faschismus, Rassismus.”
Der 77-Jährige bemängelte darüber hinaus, dass es in Deutschland viel zu lange gedauert habe – und bei manchen immer noch dauere, Putin und seine wahren Absichten zu durchschauen: “Es gab viele Russland-Versteher, aber zu wenige, die etwas von Russland verstanden.”
Schlögel verwies auf die aktuellen Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, im Sudan und an vielen anderen Orten. Damit verbunden sei eine weltweite Entwicklung, die viele scheinbare Gewissheiten aus den letzten Jahrzehnten in Frage stelle: “Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Russland noch einmal zurückfallen würde in Zeiten, die in vielem den Praktiken des Stalinismus gleichen.”
Genauso wenig habe er sich ein Amerika vorstellen können, so der Historiker weiter, “in dem sich einmal Angst vor einem autoritären Regime würde ausbreiten können”. Und ganz fremd sei ihm auch der Gedanke gewesen, “dass auch einmal in der Bundesrepublik etwas ins Rutschen geraten könnte”.
Zum Abschluss dankte Schlögel allen Menschen in der Ukraine, die den Rest der Welt vieles lehren könnten – unter anderem, dass Landesverteidigung nichts mit Militarismus zu tun habe und dass Patriotismus nicht überholt sein müsse. Eine andere Lektion sei, dass es nicht zum Frieden führe, dem Aggressor entgegenzukommen: “Von der Ukraine lernen heißt, furchtlos und tapfer sein, vielleicht auch siegen lernen.”
Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels gehört zu den wichtigsten Auszeichnungen in der Bundesrepublik. Seit 1950 wurden mehr als 75 Schriftsteller, Philosophinnen, Wissenschaftler und Politikerinnen geehrt. Darunter waren etwa Albert Schweitzer, Vaclav Havel, Astrid Lindgren und Salman Rushdie. Im vergangenen Jahr ging der Preis an die Publizistin Anne Applebaum.