Von Robert LeichtIn kirchlichen Kreisen heißt es, hieß es zumindest lange, erst einmal nett zueinander zu sein: Liebet einander … Kritik, gar offene Kritik, Hinterfragen von Entscheidungen und Autoritäten war nicht eben willkommen. Weshalb manches ja auch nicht so professionell lief wie bei den Kindern der Welt, denen man ersatzweise gerne mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger kam. Erika Godel kann man nicht nachsagen, dass sie dieses Spiel gerne mitspielte und sich brav an dessen Regeln hielt. Frauenmut vor Mannesthronen – den übte sie längst, bevor man Quotenregelungen ersann.
Das war sicherlich nicht nur eine Folge dessen, dass sie ein echtes „Kind“ der 68er Jahre war: 1968 Abitur, dann bis 1970 Studium der Theologie in Bethel und Marburg, dann für den Rest der Ausbildung und für Berufs- und Familienleben der Wechsel nach Berlin – damals noch Berlin-West.
Ein aufgeregtes Milieu, in dem nicht wenige, auch „unter Kirchens“, aus freien Stücken eben jenem Sozialismus huldigten, dessen Zwangsregime ihre Brüder und Schwestern im Osten herzlich gerne losgeworden wären. Erika Godels Naturell, so wie ich es später kennenlernte, hat sie wohl vor beidem bewahrt: vor übereif-riger Anpassung wie vor sinnloser Rebellion. Ihre Laufbahn entsprach einem Erfolgspfad, der freilich mit fünf Jahren als Pfarrerin in Justizvollzugsanstalten zunächst für Frauen, sodann für Männer begann, um sie schließlich von 1989 für zwölf Jahre als Superintendentin im Kirchenkreis Berlin-Wedding zu sehen, von 1990 für zwölf Jahre als Mitglied der Landessynode und schließlich ebenso lange von 1991 an als Mitglied der Kirchenleitung. Ein Schelm, wer dabei denkt, gerade jene ers-ten Anfänge hätten sie für die späteren Ämter und den Umgang mit höheren Tieren ertüchtigt.
Schließlich der unfreiwillige Wartestand nach dem Ende der Amtsperiode als Superintendentin – bezahlt, aber nicht gebraucht. Das hätte ein bleibender Karriereknick werden können. Wurde es aber nicht, denn aus dem für Aktivmenschen (trotz vieler ehrenamtlichen Engagements) frustrierenden Wartestand erlöste sie die Evangelische Akademie zu Berlin – und Erika Godel erlöste damals diese noch jung und neu verfasste Akademie aus einem Unruhestand.
Wie das bei Institutionen im Aufbau gerne mal so ist, befand sich unser kleines Haus damals in einer heftigen Krise. Wir brauchten gerade so jemanden wie Erika Godel – sturmerprobt, enttäuschungsgeübt, wahrscheinlich krisengestählt und doch gar nicht hart geworden –, die in dieses aufreibende und aufgeriebene Team ein gewisses Maß an Ruhe brachte: sachlich explizit und doch herzlich geerdet, als hätte sie schon Verrückteres erlebt. Als Stellvertreterin eines neuen Akademieleiters war sie dann so etwas wie eine „Mutter der Kompanie“, wenn dieses sehr ernst gemeinte Kompliment (und herzliche Dankeswort) gendermäßig noch korrekt sein sollte.
Wie schon angedeutet. Ihre vielfältigen Leistungen, Ehrenämter und Zusatzaufgaben aufzuzählen, würde den hiesigen Rahmen sprengen: Dissertation über Bibelarbeiten von Frauen auf den Kirchentagen, Lehraufträge an der Freien und an der Humboldt-Universität, Mitglied des Theologischen Prüfungsausschusses, immer wieder Kirchentag. Aber dieses alles addierte sich nicht nur zu einer Karriere, sondern zu einer Biografie – wozu sicherlich auch das feministisch inspirierte Leben in einer Familie mit vier Männern beigetragen hat.