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Frauen erkämpfen die Kunst

Der Mediziner beugt sich über den aufgebahrten Leichnam und setzt die Seziermeser am nackten Oberkörper an. Das Ölgemälde von Annie Stebler-Hopf (1861-1918) von 1889 erzeugte in Paris einen Skandal, wie die Kuratorin Eva-Maria Höllerer berichtet. Eine solche Darstellung sei „unweiblich“. Das Gemälde ist mit rund 80 weiteren Kunstwerken in der Schau „Städel Frauen. Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900“ noch bis 27. Oktober im Städel-Museum in Frankfurt am Main zu sehen.

Frauen war das Studium an staatlichen Kunstakademien in Deutschland bis 1919 untersagt, wie Städel-Direktor Philipp Demandt erklärt. Künstlerinnen suchten im späten 19. Jahrhundert das damalige Zentrum des Kunstschaffens Paris auf, um in privaten Kunstakademien Unterricht zu nehmen. Die Untersuchung des Archivs der Künstlerin Ottilie W. Roederstein (1859-1937) durch das Städel habe zur Entdeckung eines Künstlerinnen-Netzwerks zwischen 1880 und 1933 geführt, konzentriert auf die Städte Paris und Frankfurt. Die Schau stellt Werke von 26 der Frauen vor.

Das Museum habe viele von ihnen in einer jahrelangen Detektivarbeit unter Einschluss von Zeitungsanzeigen zumeist aus Privatbesitz aufgespürt. „Überrascht hat mich die durchgängig extrem hohe Qualität der Kunstwerke“, sagt Demandt. Viele der Künstlerinnen seien zu Lebzeiten beruflich erfolgreich gewesen und später vergessen worden. „Die Kunstgeschichte beleuchtet nicht immer Qualität, sondern wer eine Lobby hat.“

Die Ausstellung setzt mit Werken in Paris ein. Eines der ersten Künstlerinnen-Porträts überhaupt sei das „Porträt der Freunde“ von 1881, erklärt Kuratorin Höllerer. Louise Catherine Breslau (1856-1927) stellt in klassischer Manier ihre Ateliergemeinschaft von drei jungen Künstlerinnen dar. Die Bildung von Netzwerken sei für die Pionierinnen enorm wichtig gewesen, sagt Höllerer. Eine allein lebende Künstlerin sei gesellschaftlich nicht akzeptiert worden. In Paris erkämpften sich Künstlerinnen die Teilnahme am Studium der Anatomie. Die Ansicht eines Aktmodells, auch eines weiblichen, sei für Frauen moralisch nicht zumutbar, so die damals herrschende Ansicht.

Die Motive der jungen Künstlerinnen richteten sich meist nach dem Kunstmarkt: Frauenporträts, Mutter-Kind-Darstellungen oder Ausflugsszenen. Einzelne wie Ida Gerhardi (1862-1927) stießen in Milieus vor, die sonst für Frauen ohne männliche Begleitung tabu waren: Sie besuchte Tanzlokale und Cabarets und malte etwa mit ihrem Tanzbild VIII (1904) beschwingte Can-Can-Tänzerinnen.

In Frankfurt fanden Künstlerinnen Anknüpfung in der Ausbildung am Städelschen Kunstinstitut, das Frauen seit 1869 in einem „Damenatelier“ für Malerei aufnahm. Einige, wie Ottilie W. Roederstein (1859-1937), wurden mit ihren in Paris erworbenen Fertigkeiten dort Lehrende, Louise Schmidt (1874-1942) sogar in der „männlichsten Kunst“, der Bildhauerei.

Die Schau setzt fort, wie Künstlerinnen den Umbruch in den 1920er Jahren mitgestalteten. In der 1923 nach dem Vorbild des Weimarer Bauhauses neu formierten Frankfurter Kunstgewerbeschule fertigten Malerinnen wie Erna Auerbach (1897-1975) Porträts der emanzipierten „neuen Frau“ in modischer Kleidung, kühlem direktem Blick und Zigarette in der Hand. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 waren dieses Frauenbild und die entsprechende Kunst nicht mehr erwünscht.

Die Forschungsarbeit lasse noch viele Lücken unter den frühen Künstlerinnen der Moderne offen, sagt Demandt. Aber einige der wiederentdeckten Werke würden in die Dauerausstellung übernommen. „Der Blick auf die Situation von Künstlerinnen um die Jahrhundertwende und ihren Einfluss auf die Entwicklung der modernen Kunst wird sich mit dieser Ausstellung nachhaltig verändern“, resümiert der Direktor.