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Fotoausstellung zeigt vergessene jüdische Orte in Osteuropa

Bilder des Kölner Fotografen Christian Herrmann sind in der Synagoge von Celle zu sehen. Die Fotos halten Spuren verlorenen jüdischen Lebens in Ländern wie Polen, Belarus und der Ukraine fest.

Früher Gebetsort, heute Feuerwehrhaus:  die ehemalige Synagoge von Djatlowo, Belarus, 2019.
Früher Gebetsort, heute Feuerwehrhaus: die ehemalige Synagoge von Djatlowo, Belarus, 2019.Christian Herrmann

Ein einsamer Grabstein mit hebräischen Schriftzeichen ragt schief aus dem Wasser, umgeben von einigen Bäumen, die ihre Blätter verloren haben. Christian Herrmann hat dieses Foto auf dem einstigen jüdischen Friedhof Birzai in Litauen gemacht.

Es ist nur einer von 380 Orten, die der Kölner Fotograf in den vergangenen Jahren im Osten Europas aufgesucht hat, um im Bild festzuhalten, was es noch an steinernen Spuren im ehemaligen Kerngebiet des europäischen Judentums gibt. Überreste einer prägenden Kultur, die mit dem deutschen Überfall im Zweiten Weltkrieg fast völlig vernichtet wurde. 35 großformatige Farbaufnahmen von Herrmann sind seit kurzem in der Synagoge Celle in der Ausstellung „Grenzland“ zu sehen.

Menschen sind selten zu sehen

Die Fotos stammen vor allem aus Dörfern, in denen es nach dem deutschen Völkermord an den Juden keine jüdischen Gemeinden mehr gibt. Ein Bild aus Góra Kalwaria in Polen zeigt ein Friedhofstor mit Einschusslöchern – Zeugnis der Massenerschießungen.

Menschen sind auf Herrmanns Bildern nur sehr selten zu sehen. „Ich wollte die Leere zeigen“, sagt der Fotograf. Die Spuren suchen, Gebäude verstehen. So wie das große, quadratische Gebäude, das er in Husjatyn in der Ukraine entdeckt hat. Es stammt aus dem 17. Jahrhundert und ist eine Mischung aus Synagoge und Festung. Auf dem Dach des weißen Sakralbaus befindet sich eine Wehranlage mit kleinen Türmen und Schießscharten, durch die Angreifer unter Beschuss genommen werden können. Nach 1945 diente die Synagoge lange als Museum – seit ein paar Jahren steht das Gebäude leer und verfällt.

Der einstige jüdische Friedhof Birzai in Litauen steht unter Wasser
Der einstige jüdische Friedhof Birzai in Litauen steht unter Wasser

Seit mehr als zehn Jahren betreibt Herrmann auch den Blog „Vanished World“, auf dem er seine Reisen dokumentiert. Sie führten ihn bis nach Israel, wo er Überlebende des Holocaust besuchte, um Informationen zu den Fotos zu bekommen – und zu lernen. „Ich habe 1982 Abitur gemacht, in der Schule war die Zeit bis 1945 ein wichtiges Thema“, sagt er. „Und doch hatte ich das Gefühl, über das Schicksal der Juden in Osteuropa so gut wie nichts zu wissen, als ich 1995 erstmals in Krakau das jüdische Viertel kennenlernte.“

Zwischen den verlassenen Friedhöfen und Synagogen in meist grauer Landschaft fällt ein farbenfrohes Foto aus Slonim in Belarus ins Auge – ein Möbelgeschäft mit bunten Stoffen. Es befindet sich im einstigen jüdischen Lehrhaus. In der Mitte des großen Raumes ist die Bima erhalten, die Bühne, auf der die Tora gelesen wurde. Die mächtigen Säulen der Bima sind mit Holz ummantelt, damit sie beim Hin- und Hertragen der Möbel nicht beschädigt werden.

„Die Umnutzung ist oft würdelos“

Die Synagoge von Djatlowo in Belarus wiederum wird heute als Feuerwehrgebäude genutzt. Herrmann sagt: „Während der sowjetischen Herrschaft wurden aus Synagogen Kinos, Geschäfte oder Werkstätten. Das ist oft würdelos. Doch gibt es keine Nachnutzung, verfällt ein Gebäude innerhalb kurzer Zeit.“

Dies beweist auch ein Foto der leerstehenden Synagoge in Tirgul Vertiujeni in Moldau, ein Gebäude aus Stein mit deutlichen Bauschäden. Noch gefährdeter sind Holzsynagogen, von denen es heute laut Herrmann nur noch wenige Exemplare vor allem in Litauen gibt.

Herrmann hat bewusst kleine Orte aufgesucht. „Unsere Erinnerung wird von Auschwitz dominiert.“ Eine französische Stiftung habe 573 Orte in Osteuropa dokumentiert, in denen mehr als 500 Menschen ermordet wurden. „Bei uns sind sie unbekannt.“

Die Ruine der Synagoge von Probischna in der Ukraine im Jahr 2018
Die Ruine der Synagoge von Probischna in der Ukraine im Jahr 2018Christian Herrmann

Angesichts der Aufnahmen neigen viele Menschen zu Fatalismus – Herrmann dagegen betont den Erinnerungsgedanken: „Ich habe immer wieder lokale Initiativen getroffen, die Friedhöfe säubern oder Synagogen instand halten. Wenn ich in den Dörfern Aufnahmen mache, stoße ich häufig auf Menschen mit einem großen Mitteilungsbedürfnis, die mir Geschichten zu diesen Orten erzählen.“

Bis 24. Februar 2024 in der Synagoge Celle. Der Blog von Christian Herrmann findet sich unter www.vanishedworld.blog. Sein großformatiges Buch „Grenzland“ mit 160 Aufnahmen ist im Lukas Verlag erschienen. 40 Euro, ISBN 978-3-86732-425-0.