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Forscher: In der dunklen Jahreszeit aufeinander achten

Insbesondere in der dunklen Jahreszeit sollten Menschen auf sich selbst und auf andere achten – dazu rät der Psychiater Daniel Radeloff. Wem Probleme über den Kopf wüchsen, könne fachliche Beratung in Erwägung ziehen, sagte Radeloff am Montag in Leipzig. Fachleute seien rund um die Uhr über die psychiatrischen Notdienste erreichbar; auch die Beratung per Telefon oder App könne eine Anlaufstelle sein.

In einer aktuellen Analyse hat sich Radeloff mit den zuletzt gestiegenen Suizidraten befasst. Für 2022 gab es demnach einen deutlichen Anstieg um 9,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dies sei keine zufällige Schwankung, mahnte der Kinder- und Jugendmediziner Jon Genuneit, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Menschen höheren Alters (ab 60 Jahren) seien besonders gefährdet – möglicherweise, weil sie mit größerer finanzieller Not und mehr Zukunftssorgen konfrontiert gewesen seien.

Die Auswertung bezieht sich auf die Daten der polizeilichen Kriminalstatistik. Laut kürzlich veröffentlichten Zahlen des Nationalen Suizidpräventionsprogramms und der Deutschen Akademie für Suizidprävention nahmen sich 2022 bundesweit 10.119 Menschen das Leben. Die Anzahl liege erstmals seit acht Jahren wieder über 10.000; zudem sei der prozentuale Anstieg binnen eines Jahres der stärkste seit 1980.

Die Corona-Pandemie spielte dafür keine entscheidende Rolle. Im Gegenteil war die Widerstandsfähigkeit “angesichts der vielfältigen Belastungen, die uns die Pandemie abverlangt hat”, erstaunlich, wie Radeloff sagte. Insofern überrasche der aktuelle Anstieg, “auch wenn die geopolitischen und wirtschaftlichen Verwerfungen des Jahres 2022 ohne Frage ein Risikoumfeld darstellen”.

Es brauche ein größeres Problembewusstsein im Gesundheitswesen und in der ganzen Gesellschaft sowie politische Maßnahmen, betonte der Experte. Das Risiko für Menschen in einer Notlage könne sich verändern: “Wir sollten uns den individuellen Handlungsspielraum bewusst machen, der die Bewältigung einer Krise ermöglicht. Der wird regelmäßig unterschätzt.”