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Flüchtlingsbeauftragter: Solidarität statt Abschottung

Die Zahl der gewaltsam vertriebenen Menschen ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen, auf mehr als 122 Millionen. Sie brauchen Mitmenschlichkeit kommentiert Berliner Bischof Christian Stäblein.

Auf der Suche nach Sicherheit: Geflüchtete Menschen auf ihrem Weg – getragen von Hoffnung, geprägt von Verlust. Der Weltflüchtlingstag erinnert an ihre Würde
Auf der Suche nach Sicherheit: Geflüchtete Menschen auf ihrem Weg – getragen von Hoffnung, geprägt von Verlust. Der Weltflüchtlingstag erinnert an ihre WürdeImago / Xinhua

Es ist nicht einfach und irgendwie dann doch. Migration ist ein vielschichtiges Thema. Sie regt uns Menschen, viele Menschen oft sehr auf. Verständlich. Es geht um Not und um Hilfe, es geht um Fremdheit und unterwegs sein. Es geht um Ängste, hier wie dort. Es geht um Menschlichkeit. Und auch um den Reichtum der Vielfalt. Wie arm wären wir und wäre unser Land – auch ganz real wirtschaftlich arm – ohne Menschen, die zu uns gekommen sind. Und wer ist eigentlich das „Uns“, das „Wir“ an dieser Stelle. Viele und auch viele von denen, die vor uns waren, sind irgendwann in dieses Land gekommen. Ein vielschichtiges, angstbesetztes Thema, nicht einfach. Aber: fundamental.

Seit 74 Jahren gibt es die Genfer Flüchtlingskonvention, dieses „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“. Es entstand nach dem 2. Weltkrieg und sichert in internationaler Verabredung Menschen zu, dass sie ihre Rechte nicht verlieren, wenn sie auf der Flucht sind, ja, dass sie gerade dann besonderen Schutz genießen und die Menschenrechte auch für sie gelten, selbstverständlich das. Zum 50jährigen Bestehen der Genfer Konvention wurde 2001 der Weltflüchtlingstag für den 20. Juni ausgerufen, in diesem Jahr also dieser Freitag.

20. Juni: Weltflüchtlingstag

In mehreren Kirchen bei uns wird an diesem Tag besonders an die erinnert, für die dieser Schutz furchtbarerweise nicht wahr geworden ist: Es werden die Namen derer laut gemacht, die auf ihrer Flucht nach Europa zu Tode gekommen sind, die ertrunken oder – es nimmt uns immer wieder die Luft, wenn wir es hören – in einem LKW auf der Ladefläche erstickt sind. „Man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt.“ Dieser Satz von Pastorin Sandra Bils zum Abschluss des Kirchentags in Dortmund gehört zweifellos zu den Konventionen, die uns Menschen ausmachen. Oder in meiner Sprache: Jeder Mensch hat die gleiche Würde von Gott und vor Gott. Das gilt besonders in Not.

Danke allen, die in oder außerhalb unserer Kirche dafür sorgen, dass das gelebt wird, Realität hat in dieser Welt, zumal in Zeiten von Kriegen und großer Not und Klimakatastrophe, deren Auswirkungen in anderen Regionen der Welt noch viel spürbarer sind. Migration ist eine Konsequenz davon. Und sie ist keine Ausnahme, weil: alle Menschen haben Sehnsucht nach einem Leben in Sicherheit. Deshalb braucht Migration Regeln, auch Regeln der Menschlichkeit und – für uns nicht minder wichtig: Handeln aus biblischem Auftrag.

Bischof Christian Stäblein erinnert als Flüchtlingsbeauftragter der EKD am Weltflüchtlingstag an Menschen auf der Flucht – und ruft zu Menschlichkeit und politischer Verantwortung auf
Bischof Christian Stäblein erinnert als Flüchtlingsbeauftragter der EKD am Weltflüchtlingstag an Menschen auf der Flucht – und ruft zu Menschlichkeit und politischer Verantwortung aufepd-Bild / Heike Lyding

Im Fremden begegnet uns Gott

Kaum eine biblische Geschichte, in der nicht mit dem Aufbruch in der Not das Versprechen verbunden ist, dass Gott da ist.  Abraham, Jakob, Miriam und Ruth wissen Lieder davon zu singen. Am Ende des ersten Evangeliums fasst Jesus es in einem Gleichnis so zusammen: Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Wann soll das gewesen sein, fragen die Umstehenden. Antwort: Was ihr einem von diesen getan habt, habt ihr mir getan. Es ist die biblische Version dessen, was sich so selbstverständlich anfühlt und doch so wenig selbstverständlich in dieser Welt scheint. Im Fremden und in der Annahme, im Helfen und Recht schaffen begegnet uns Gott.

Das selbstverständlich zu nennen heißt nicht, es für einfach zu halten. Ich höre, wir sollen uns als Kirche nicht in die Politik einmischen. Ja, die Ebenen muss man auf jeden Fall und unbedingt gut unterscheiden. Wenn wir uns also einmischen, dann im Namen der Menschlichkeit und im Namen jener Zusammenhänge von Würde und Recht und Gottes Liebe, die jenseits aller Tages- und Parteipolitik gelten. Das zu sagen ist natürlich wirksam im politischen Raum, soll es ja auch, in diesem Sinne ist das Evangelium politisch. – Wir können nicht alle retten und es können auch nicht alle kommen, höre ich oft. Auch dem stimme ich sofort zu, selbstverständlich.

Gemeinsame europäische Lösungen finden

Eben deshalb brauchen wir gemeinsame Lösungen, europäisch und miteinander. Deshalb braucht es Recht, an das sich alle halten. Ich setze ganz auf unseren Rechtsstaat, in dem die christlichen Werte Gestalt gewonnen haben. Dann nämlich gilt auch: Wer da liegt – biblisch gesprochen: an der Straße, auf der der Mensch unter die Räuber geraten war und wo der barmherzige Samariter anhielt und die anderen vorbei gingen –, der braucht Hilfe in dem Moment und Zuwendung. Man lässt keinen Menschen liegen. Punkt. Einfach ist das nicht. Das hat auch niemand behauptet. Man kann es nachlesen in der Bibel. Und es bleibt: Gott begegne ich in der Vielfalt des Lebens, im festlichen Miteinander und im Frieden, der darin wartet.