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Finanznöte und neue Formate: Wohin steuern die Filmfestivals?

Corona war auch für die Filmfestivals ein herber Schlag. Doch die meisten überlebten – auch dank einer Ausweitung ins Virtuelle. Doch wie steht es tatsächlich um die Festivals nach dem Ende der staatlichen Corona-Hilfen?

Als 2020 Corona ausbrach und die Lockdowns der Kinos auch die Filmfestivals um Spielstätten und Besucher beraubten, machten sich Sorgen breit. Können die Festivals solche Stillstände überleben? Doch sie ließen sich nicht entmutigen. Binnen weniger Wochen erfanden sich die ersten Filmschauen im Internet quasi neu und fanden rasch Nachahmer.

Etwas mehr als zehn Prozent (56 von 468) mussten schließen, aber nicht wenige haben die Corona-Krise auch als Chance genutzt, um Programme zu renovieren, alternative Formate auszuprobieren, Online-Angebote zu entwickeln und neue strategische Konzepte zu generieren. Doch wie geht es nun weiter? Und welche Rolle spielen dabei die Streaming-Angebote?

In der Pandemie haben viele Festivals eigene Streaming-Angebote auf die Beine gestellt, sei es als Alternative oder als Ergänzung zum herkömmlichen Angebot in den Kinos. “Die Filmfestivals sind erstaunlich gut durch die Corona-Krise gekommen”, bilanziert die Medien-Ökonomin und Filmfestival-Forscherin Tanja C. Krainhöfer. Dabei hätten sie auch geholfen, virtuelle Begegnungsräume zu schaffen.

Als “Glücksfall” betrachtet es Krainhöfer, dass in Deutschland im Sommer 2019, also kurz vor der Pandemie, die AG Filmfestival gegründet wurde, der nun etwa 120 Festivals angehören: “Damit wurde eine Struktur für Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch geschaffen, die es gerade auch kleinen Festivals ermöglichte, an all den Erkenntnissen, Versuchen und Laborerfahrungen zu partizipieren.”

Die AG Filmfestival selbst dagegen zeichnet ein eher düsteres Bild: “Seit der Pandemie sind Kostensteigerungen von im Durchschnitt 30 bis 50 Prozent unvermeidlich.” Umso dringlicher fordert sie eine effektivere Filmfestivalförderung in der anstehenden Novelle des Filmförderungsgesetzes.

Ungeachtet einiger Verluste 2021 und 2022 scheint die Finanzierung nach Krainhöfers Recherchen zumindest stabil. “Viele Kulturämter und Verwaltungen haben die Bedeutung und die Qualität der Festivals erkannt. Es gibt auch Kommunen, die gezielt Sonderförderungen gewährt haben, um die Preissteigerungen und die erhöhten Energie- und Personalkosten auszugleichen.”

Am Beispiel von vier Filmfestivals unterschiedlicher Sparten lässt sich erkennen, wie diese die Corona-Pandemie überstanden haben und welchen Stellenwert sie Online-Screenings für die Publikumsgewinnung zumessen.

Susanne Kasimir kann als Geschäftsführerin der Nordischen Filmtage Lübeck Positives berichten, etwa 30.000 Besucher, fast so viele wie im Rekordjahr 2019: “Zum Glück waren wir auf den erneuten Kino-Lockdown gut vorbereitet und konnten fast das gesamte Programm auf der Festivalplattform zum Streaming anbieten.

In diesem Jahr war etwa die Hälfte der Angebote online. Lübeck hält an den Online-Screenings nicht zuletzt deshalb fest, weil “damit die Teilhabe für Menschen gesichert ist, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind”, wie Kasimir erläutert. “Zudem können wir so mit vielen Fans, die nicht jedes Jahr nach Lübeck kommen, in Kontakt bleiben.”

Die Internationalen Stummfilmtage in Bonn konnten die Krise dank der Corona-Hilfen überstehen, auch wenn ein Teil des lokalen Publikums verloren ging. Weiterhin würden weniger Stühle aufgestellt, um einem dauerhaft veränderten Nähe-Distanz-Gefühl der Gäste gerecht zu werden, heißt es. Das Online-Filmangebot wird kontinuierlich fortgeführt und ausgebaut.

Das Streaming-Programm war dabei zunächst als Ergänzung zu den Filmvorführungen gedacht. Doch einige Zusatzangebote wie Künstler-Talks oder Podiumsdiskussionen finden mittlerweile ausschließlich online statt, auch weil sich ein internationales Publikum für das Festival etabliert habe. Ohne die staatliche Förderung bleiben die Zusatzangebote allerdings ein finanzielles Wagnis.

Das Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken habe die Pandemie bisher “gut bestanden”, so Festivalleiterin Svenja Böttger: “Von “überstanden” kann meiner Meinung nach aber noch nicht die Rede sein. Wir befinden uns aktuell noch in der Krise.” Dazu gehörten etwa hohe Inflation, enorme Preissteigerungen, Personalmangel und der Wegfall von Finanzierungsmöglichkeiten bei gleichzeitig erhöhtem Finanzbedarf.

Das Festival hat die 42. Ausgabe 2021 als reine Online-Edition veranstaltet, seit 2022 fährt es wieder zweigleisig. Dabei, so Böttger, dürfe das Streaming-Angebot die Vermarktung der Filme im Kino nicht gefährden. Zum Beispiel waren die Wettbewerbsfilme erst nach der Premiere im Kino im Stream verfügbar, während Nebenreihen und Sonderprogramme schon ab Beginn des Festivals online gesichtet werden konnten.

Auch bei der Ausgabe 2024 will Böttger das Prinzip des dualen Filmfestivals beibehalten, um auch Zielgruppen erreichen zu können, “die aus den unterschiedlichsten Gründen – keine Möglichkeit zur Kinderbetreuung, Krankheit oder Mobilitätseinschränkungen – nicht live dabei sein können”.

“Hurra, wir leben noch”, sagt Festivalleiter Lars Henrik Gass über die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Allerdings dürfe man nicht vergessen, “dass wir als Filmfestivals an Kinostrukturen hängen, für die in den nächsten Jahren ein weiterer erheblicher Schwund vorausgesagt wird. Das wird strukturelle Folgen für uns alle haben.”

Oberhausen hat die gesamten Festivalausgaben 2020 und 2021 online durchgeführt. “Mit recht beachtlichem Erfolg”, wie Gass erklärt. “2022 hybrid mit mäßigem Erfolg, 2023 sozusagen im Normalbetrieb mit recht passablen Zahlen, aber immer noch unter dem Stand von 2019. Allerdings haben wir Online-Programme beibehalten und planen sogar, diese auszubauen.”

Die Aussichten auf längere Sicht beurteilt der langjährige Festivalleiter als eher schlecht und verweist auf die Inflation, die Einstellung von Förderprogrammen wie etwa die Filmfestivalförderung des Goethe-Instituts und die rasante Veränderung des Freizeitverhaltens der Menschen. Seine Bilanz: “Aus all diesen Gründen denken wir über einen Transformationsprozess für das Festival nach, zu dem wir uns erst im nächsten Jahr öffentlich äußern wollen.”

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Online-Screenings als strukturelles Element von Filmfestivals etabliert haben, auch wenn eine Mehrzahl der Festivals inzwischen zu alleinigen physischen Filmvorführungen zurückgekehrt ist.

Mit Streaming-Angeboten können sie allerdings die Barrierefreiheit für Filminteressierte mit Handicaps verbessern, bestehende Publikumsbindungen festigen und neue Publikumsschichten erschließen sowie das traditionelle Kinoerlebnis um zusätzliche virtuelle Angebote erweitern.

Mit ihrer Expertise für einzelne Programmsegmente wie zum Beispiel Dokumentarfilm, Nachwuchsfilm, Filmerbe oder bestimmte Filmländer sowie einzelne Communitys können sich die Festivals wahrscheinlich auch gegen die Streaming-Giganten behaupten.

Was die generellen Perspektiven anbelangt, so gehen Filmfestival-Analystin Krainhöfer und andere Fachleute davon aus, dass der Markt weiter wachsen, sich ausdifferenzieren und als parallele Auswertungsstruktur verankern wird: “Auch wenn mancher Branchenvertreter oder der ein oder andere aus der AG Kino – Gilde das noch nicht erkennen kann: Filmfestivals sind längst ein eigenständiges Ökosystem.”