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Finanzminister – aufgewacht!

Hohe Schulden sind eine große Belastung für arme Länder. Experten fordern daher seit langem ein Insolvenzverfahren für Staaten. Das Bündnis „Erlassjahr.de“ war beim Treffen der Finanzminister der G-7-Staaten in Dresden präsent

Wecker und Handys klingeln laut und eindringlich. Sieben Personen, gut gekleidet, liegen auf Liegestühlen und schliefen. Sie lassen sich von dem Klingeln nicht stören. Es ertönen auch laute Rufe wie „Hey“ und „Aufwachen“. Endlich – nach einer langen Weile – bequemen sich die Personen und erheben sich aus ihren Liegestühlen. Sie werden zu einer anderen Gruppe geführt, die unter der Last vieler schwerer Säcke zusammengebrochen sind.

Diese Szene gehört zu der öffentlichen Aktion, die das Bündnis „Erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung“ auf dem Neumarkt in Dresden Ende Mai durchgeführt hat. Die Schläfer in der Liegestühlen stellten die Finanzminister der G-7-Staaten dar, und die Gruppe, die eine große Last zu bewältigen hatte, waren Menschen in hoch verschuldeten Ländern. Am Ende ließen beide Gruppen die Schulden als Ballons in den Himmel fliegen.

Insolvenzverfahren für Staaten gefordert

Anlass für diese Aktion war das Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G-7 (der sieben wirtschaftlich wichtigsten Staaten, wie Deutschland, die USA oder Italien). Es fand kurz vor dem großen G-7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau statt. „Erlassjahr.de“ wollte der Forderung nach einem rechtlich verbindlichen Insolvenz­verfahren für Staaten mehr Gehör verschaffen. Ein solches Insolvenzverfahren gibt es zwar in unserem nationalen Recht sowohl für Firmen wie für Privatpersonen, aber nicht im internationalen Bereich. Das sehen wir im Moment auch bei den Schuldenproblemen Griechenlands.
Das Bündnis „Erlassjahr.de“ – dazu gehören mehr als 600 Institutionen und Gruppen bundesweit – hat dabei die ärmsten Länder der Welt im Blick. Denn Schulden und die dazugehörigen Zinszahlungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Lebenssituation der Menschen in diesen Ländern. Es fehlen Gelder für wichtige Bereiche wie Bildung oder Gesundheit.
In Dresden wurde auch eine neue UN-Initiative unterstützt. Die Gruppe der sogenannten „G-77-Staaten“, ein Zusammenschluss von Schwellen- und Industriestaaten, hat im September 2014 bei der UN den Antrag eingebracht, für 2015 eine Resolution zum Thema Staateninsolvenz­verfahren vorzubereiten und bei der nächsten Vollversammlung zur Abstimmung zu stellen. Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Ausnahme: Die wichtigsten Gläubigerstaaten wie USA, Großbritannien oder Deutschland haben dagegen gestimmt.

Bundesfinanzminister beim Gottesdienst

Nach der Aktion auf dem Neumarkt wurde in der Dreikönigskirche in Dresden-Neustadt ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert, der unter dem Motto „.. und wir vergeben unseren Schuldnern“ stand. Der Bischof des katholischen Bistums Meißen-Dresden, Heiner Koch, sowie der Bischof der evangelischen Landeskirche Sachsen, Jochen Bohl, waren an dem Gottesdienst beteiligt. Auch Gäste aus der weltweiten Ökumene wurden in dem Gottesdienst einbezogen: Fünf Gäste aus Kuba sprachen das Klagegebet. Zur großen Überraschung nahm auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble teil. Ob das als ein Signal gewertet werden kann, dass der Minister die Anliegen von „Erlassjahr.de“ ernst nimmt, bleibt eine offene Frage.
Bischof Koch stellte die Frage, was der Mensch wert sei. Vor Gott seien alle Menschen gleich und einzigartig, egal ob leistungsstark oder arm. „Gott will, dass wir leben, nicht nur irgendwie überleben. Uns wird die Schuld vergeben!“ Er zitierte Papst Franziskus, der ein Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung gefordert hat.
Bischof Jochen Bohl sprach in seiner Predigt über das biblische Konzept eines Erlassjahres aus 3. Mose 25. Auch wenn die Historiker nicht genau sagen könnten, ob das Erlassjahr wirklich jemals zur Anwendung gekommen ist, machten die Gebote deutlich, „dass es ein Gebot der Humanität ist, die Schuldner als Mitmenschen, als Nächste zu sehen und sich ihnen zuzuwenden – nicht aber sie mit ihrer Not allein zu lassen“. Es sei wichtig zu sehen, dass Gott die Menschen auch in verzweifelten Lagen nicht allein lassen will. Gott fordere uns auf, diesen Menschen zu helfen, ihnen einen Neuanfang für ein unverschuldetes Leben zu ermöglichen.
Einen Tag später veranstaltete „Erlassjahr.de“ noch eine hochkarätig besetzte Fachtagung zum Thema. Es kamen sowohl Vertreterinnen und Vertreter der G-7-Präsidentschaft als auch sozialer Bewegungen aus verschuldeten Staaten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort. Alle Expertinnen und Experten warnten davor, dass sich derzeit neue Schuldenkrisen besonders für die armen Länder abzeichneten und forderten daher die G-7-Staaten auf, faire und gerechte Konzepte gegen diese Entwicklung zu erarbeiten. Am Ende der Veranstaltung wurden dem Abteilungsleiter im Finanzministerium Ludger Schuknecht 2000 Unterschriften für die Schaffung eines Staateninsolvenz­verfahrens übergeben. Internet: www.erlassjahr.de.

Klaus Göke ist Regionalpfarrer des Amtes für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung und Mitglied des Vorstandes von „Erlassjahr.de“.