Rückenschmerzen, Migräne oder auch Tumorerkrankungen: 3,9 Millionen Menschen gelten hierzulande als schwer schmerzkrank. Bei ihrer Versorgung sehen Fachleute einigen Nachholbedarf.
Akute Schmerzen werden oft unzulänglich oder zu spät behandelt – und entwickeln sich dann zu chronischen Schmerzen: Davor warnt die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin. Die entsprechende Versorgung sei “in Gefahr”, sagte der Präsident der Gesellschaft, Johannes Horlemann, am Mittwoch bei einer Online-Pressekonferenz. Ein Problem sei der Mangel von Haus- und Fachärzten in der Fläche.
Hinzu kommen demnach Vorurteile, die etwa Migräne als “Frauenkrankheit” abtun oder davon ausgehen, dass Rückenschmerzen in einem bestimmten Alter dazugehören. Fast ein Drittel der Menschen in Deutschland (31,4 Prozent) leide an Rückenschmerzen, erklärte Mediziner Heinrich Binsfeld. Stress und Verspannungen spielten eine größere Rolle als in anderen Ländern, und es sei wichtig, sowohl körperliche als auch psychische und soziale Faktoren zu berücksichtigen.
Rückenschmerzen werden auch im Mittelpunkt des Deutschen Schmerz- und Palliativtages im März stehen, wie die Fachgesellschaft ankündigte. Die schmerzmedizinische Versorgung betreffe indes viele gesundheitliche Felder und zahlreiche Erkrankte. So gebe es eine neue Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die etwa für Kopfschmerz-, Tumor- oder Endometriose-Patientinnen hilfreich sein könne.
In vielen Bereichen brauche es neben einer besseren Versorgung auch mehr Aufklärung. So handle es sich bei Migräne um die häufigste Kopfschmerzform und die häufigste neurologische Schmerzerkrankung hierzulande, erklärte der Neurowissenschaftler Michael Überall. Dennoch würden häufig nur die einzelnen Kopfschmerz-Attacken bekämpft.
Diese Phasen enormer Kopfschmerzen seien allerdings “nur die Spitze des Eisbergs”, mahnte Überall. Die meisten Betroffenen erlebten davor und danach neurologische Veränderungen, die den Alltag beeinträchtigten – darunter Nackensteifigkeit, Müdigkeit oder die sogenannte Aura, also etwa Lichtblitze oder ein flimmerndes Blickfeld. Auslöser müssten stärker in den Blick genommen werden, um die Zahl der Migräne-Attacken zu reduzieren.
Bislang erhalten den Angaben zufolge nur neun Prozent der Betroffenen sogenannte spezifische Prophylaktika, also vorbeugende Medikation. Dabei seien diejenigen auch außerhalb akuter Attacken chronische Schmerzpatienten, betonte Psychologe Horlemann. Die Lebensqualität leide darunter, wenn jemand beispielsweise keinen Ausflug fürs Wochenende planen könne, weil eine Attacke dazwischenkommen könne: “Das Gehirn befindet sich im Daueralarm.”
Diese Bedeutung von Migräne als Volkskrankheit sei vielen nicht klar, kritisierte Horlemann. Ein gutes Viertel der Migränepatientinnen und -patienten zeigt nach einer Auswertung des “PraxisRegister Schmerz” depressive Symptome, über die Hälfte leiden an Schlafstörungen und zehn Prozent berichten von konkreten Suizidgedanken. Laut Überall braucht es neben klarer Diagnostik und vorbeugender Versorgung auch eine bessere Aufklärung, damit Betroffene auch selbst gegensteuern könnten.