Ärztinnen und Ärzte brauchen nach Ansicht der Fachärztin Tanja Sappok mehr Kenntnisse über Besonderheiten bei der Behandlung von Menschen mit Behinderungen. Diese würden häufiger körperlich und psychisch krank, litten nicht selten unter mehreren Krankheiten gleichzeitig und suchten deshalb auch öfter die Praxen auf, sagte die künftige Bielefelder Professorin für Inklusive Medizin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Künftig sollen alle Medizinstudierenden der Universität Bielefeld Basiskenntnisse in Behindertenmedizin erwerben – erstmals in Deutschland.
Bisher tauche das Fachgebiet in der ärztlichen Ausbildung nur marginal auf, bedauert die Neurologin und Psychiaterin Sappok, die im Januar den neu geschaffenen Lehrstuhl übernimmt. Die 52-Jährige wird zugleich Direktorin der neuen Uni-Klinik für Inklusive Medizin am Krankenhaus Mara der v. Bodelschwinghschen Stiftungen in Bielefeld-Bethel. Am Campus Bethel sollen laut Sappok sowohl Lehrveranstaltungen abgehalten werden als auch „Begegnungsräume“ zwischen den angehenden Ärztinnen und Ärzten und den Menschen mit Behinderung entstehen.
Seltene Krankheiten tauchen häufiger auf
Verbesserungsbedarf in der Ausbildung sieht die Neurologin zum Beispiel bei Kenntnissen von Krankheitsbildern, die in der Bevölkerung selten, bei behinderten Menschen aber häufiger vorkommen. So könne etwa Trisomie 21 verlängerte Augäpfel mit sich bringen, wodurch es häufiger zu Netzhautablösungen komme. Auch Schilddrüsenunterfunktion sei eine mögliche Folge der auch als „Down-Syndrom“ bekannten genetisch bedingten Behinderung.

Deutlich häufiger seien bei geistig beeinträchtigten Menschen etwa auch Störungen aus dem Autismusspektrum, erläuterte Sappok. Behinderte Männer und Frauen litten nicht selten auch unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hätten häufiger Unfälle und Knochenbrüche.
Wichtig ist der Professorin nicht zuletzt eine bessere Kommunikation und Interaktion bei Anamnese, Untersuchung und Behandlung: Mediziner sollten nicht nur allgemein verständlich reden, sondern bei Patienten mit Behinderung auch „leichte Sprache“ benutzen. „Es kann auch mit Gesten, Mimik oder praktischen Übungen gearbeitet werden“, betont die Expertin, die bis jetzt als Chefärztin am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin wirkte.
Betroffene sollen eingebunden werden
In die Kommunikation eingebunden werden müssen nach Überzeugung von Sappok auch die Angehörigen und die „Hilfesysteme“ der Patientinnen und Patienten. Dazu zählt sie etwa Betreuer, Therapeutinnen, Logopäden oder Werkstattmitarbeiter. Ärztinnen und Ärzte seien bei der Erfassung der Krankheitsgeschichte auf deren Angaben und Kenntnisse der Lebensbedingungen der Erkrankten angewiesen.