Mit der Agenda 2030 hat sich die Staatengemeinschaft auf ambitionierte Nachhaltigkeitsziele geeinigt. Doch acht Jahre nach der Verabschiedung der „Sustainable Development Goals“ (SDGs) fällt die Zwischenbilanz ernüchternd aus. Sich deshalb von den Zielen zu verabschieden, wäre aber ein Fehler, sagt die Direktorin des „German Institute of Development and Sustainability“ (IDOS), Anna-Katharina Hornidge, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Von dem Sondergipfel zur Halbzeit der 17 Nachhaltigkeitsziele in New York erhofft sie sich Impulse für die weitere Umsetzung.
epd: Im Jahr 2015 hat sich die Staatengemeinschaft auf die SDGs geeinigt. Was sollte damit erreicht werden?
Hornidge: Die internationale Gemeinschaft hat die SDGs als Wegweiser für Nachhaltigkeit vereinbart, um den globalen Herausforderungen zu begegnen. Der große Unterschied zu den vorherigen Millenniumszielen ist ihre Universalität. Sie gelten für alle Staaten, für reiche und wirtschaftliche schwache Länder.
epd: Die SDGs sind sehr ambitioniert: Hunger und extreme Armut etwa sollen bis 2030 beendet, ein gesundes Leben für alle Menschen gewährleistet werden. Wie fällt Ihre Bilanz bisher aus?
Hornidge: Wir sind weit davon entfernt, die 17 Ziele zu erreichen. Laut Zahlen vom Sustainable Development Solutions Network (SDSN) befinden sich nur 15 Prozent der Ziele auf einem guten Weg. Bei 48 Prozent sind wir nicht auf der Zielgeraden, bei 37 Prozent gibt es Stagnation oder sogar Rückschritte. Teilweise wird das mit den Auswirkungen von Corona begründet. Aber wir lagen bereits vor der Pandemie weit hinter den uns selbst gesteckten Zielen zurück.
epd: Wie sinnvoll ist es, sich so ambitionierte Ziele zu setzen?
Hornidge: Es wäre jetzt politisch in vielerlei Hinsicht das Einfachste, sich von ihnen zu verabschieden oder sie nach unten zu skalieren. Das wäre aber eine große Fehlentscheidung. Ihre Notwendigkeit besteht nicht nur weiter, sondern hat sich verstärkt.
epd: Im Jahr 2015 hat die Welt noch mehr auf Kooperation gesetzt. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine zieht die internationale Gemeinschaft weniger an einem Strang. Wie wirkt sich das auf die SDGs aus?
Hornidge: Konfrontationen zwischen Staaten gab es schon vor Beginn des Krieges. Aber derzeit erleben wir auch eine Krise multilateraler Organisationen, in denen wir um ein konstruktives Miteinander ringen müssen. Es gibt eine Vertrauenskrise in Teilen Afrikas beispielsweise gegenüber Europa, die wir heute beobachten und die den Austausch über die gemeinsame Agenda erschwert. Die Kräfte, die uns auseinanderziehen, sind eine Gefahr für Frieden und Entwicklung.
Gerade deshalb ist das Festhalten an den SDGs so wichtig: Bei allen unterschiedlichen Interessen betonen die Ziele das Gemeinsame und nicht die Differenzen. Es war und ist die erste gemeinsame Agenda dieser Art. Eine Agenda, in der die Weltgemeinschaft gemeinsam Zukunft definiert hat, die alle unterschrieben haben und die über nachhaltige Entwicklung die Wege in diese Zukunft aufzeigt.
epd: Was kann der Gipfel zur Halbzeit der SDGs am 18. und 19. September in New York bringen?
Hornidge: Es muss deutlich werden, dass die Umsetzung aller 17 Ziele in den nächsten Jahren beschleunigt werden muss. Dies muss im Zentrum jeglichen politischen, wie auch zivilgesellschaftlichen Handelns stehen. Die Corona-Pandemie, die geopolitischen Spannungen und der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine können hier nicht als Gründe für ein Abwenden von der Agenda gelten. Eine sozialgerechte Transformation unserer Wirtschaftsweisen und Lebensstile bleibt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.