“Ich will diese Sprache nicht lernen” oder “Das Wasser hier schmeckt komisch”: Diese Reaktionen sind laut einer Psychologin normal, wenn jemand die Heimat verloren hat. Sie erklärt, wie Betroffene wieder Halt finden.
Bis zu 900.000 Menschen haben Russland seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine verlassen – und viele von ihnen kämpfen laut einer Psychologin mit starken Ängsten. 70 bis 80 Prozent ihrer Klientinnen und Klienten entwickelten zudem depressive Symptome, sagte Maria Sabunaeva der Zeitschrift “Psychologie Heute” (November-Ausgabe). Sie selbst hat Russland nach eigenen Worten im März 2022 verlassen und arbeitet heute für die Beratungsstelle KommMit für Migrant:innen und Geflüchtete in Berlin. Langfristige Hilfe könnten sich viele jedoch nicht leisten.
Viele der rund 3.000 Russinnen und Russen, die humanitäre Visa in Deutschland erhalten haben, leiden nach Worten Sabunaevas unter dem Gefühl von Entwurzelung und Ungerechtigkeit, aber auch unter Scham. Manche verböten sich regelrecht, “Freude zu empfinden oder Genuss zu erleben”. Dies spreche dafür, dass sie mitten in einer Traumatisierung steckten – sie leiste dann Krisenberatung, die der Notfallseelsorge ähnele. Dabei werde kein Lebensweg analysiert, sondern die Person im Hier und Jetzt verankert und gemeinsam geschaut, was sie konkret tun könne.
Konflikte in Familien und bei Paaren könnten sich in der Emigration verstärken. Idealerweise lasse diese Erfahrung einen enger zusammenrücken, sagte die Beraterin: “In der Praxis klappt das jedoch vielfach nicht.” So gingen etwa einzelne Familienmitglieder mitunter unterschiedlich mit der Situation um. “Der eine steht schon auf eigenen Beinen und packt an, während der andere noch in der Verleugnung feststeckt.”
Diese unterschiedlichen Phasen gehörten dazu, sagte Sabunaeva. Ins Exil zu gehen, sei eine klassische Verlusterfahrung, die der Trauer um einen verstorbenen Menschen ähnele. Auf anfängliche Verleugnung folgten oftmals Wut, Verhandlung, tiefe Niedergeschlagenheit – und schließlich Akzeptanz.
Veränderungen zeigten sich oft in kleinen Dingen, etwa, wenn jemand Preise nicht mehr in Rubel umrechne oder sich einen Staubsauger kaufe. “Das ist etwas aus einem gesunden Alltag”, erklärte die Expertin. “Das bedeutet: Man ist zu Hause, nicht mehr zu Gast.” Entscheidend für diesen Schritt sei eine Gemeinschaft, in der man über Gefühle sprechen könne. Helfen könne also schon die ernsthafte Frage, wie es Betroffenen gehe und was sie brauchten.