Manche erleben ihn beim Joggen, andere versinken beim Malen darin. Kinder kennen ihn oft am besten, und gelegentlich stellt er sich sogar beim Putzen ein: Die Rede ist vom Flow. In einer Tätigkeit ganz aufzugehen, vertieft und zugleich konzentriert zu sein – so beschreibt die positive Psychologe das, was Menschen mit dem Satz meinen: “Ich war richtig im Flow.”
Als erster hat der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi dieses Phänomen erforscht, die “optimale Erfahrung”. Diese Momente, betonte der 2021 verstorbene Experte, seien allerdings nicht passiv und entspannend. Sie ereigneten sich vielmehr dann, “wenn Körper und Seele eines Menschen bis an die Grenzen angespannt sind, in dem freiwilligen Bemühen, etwas Schwieriges und etwas Wertvolles zu erreichen”.
Ein Drittel aller Deutschen fühlen sich gestresst
Doch laut Umfragen erlebt sich mindestens ein Drittel aller erwachsenen Menschen in Deutschland als gestresst, häufig sogar als stark gestresst. Andreas Hillert behandelt an der Schön Klinik Roseneck in Prien zahlreiche Betroffene; der Psychotherapeut ist Chefarzt und Leiter der dortigen Tagesklinik. Kürzlich hat er den Ratgeber “Stress positiv nutzen” veröffentlicht. Er betont: “Es geht nicht darum, Stress zu vermeiden – sondern darum, den idealen Mittelweg zu finden und den Flow zu nutzen.”
Denn die schönsten Gefühle – darunter eben die Hochstimmung, wenn es richtig gut läuft – funktionierten “nur mit der richtigen Stress-Portion”, sagt Hillert. “Ganz große Flow-Momente sind eher selten. Häufiger, wenn es einem gelingt, lassen sich die Weichen so stellen, dass positive Momente in Situationen möglich werden, die zunächst einmal nicht danach ausgesehen haben.” Als Beispiel nennt er eine Schulstunde, in der sich spontan eine angeregte Diskussion entspinnt, Lehrer und Schülerinnen einander die Bälle zuspielen und hinterher sagen: Die Zeit ist wie im Flug vergangen.
Wer sich ständig langweilt, hat auch Stress
Hinzu kommt: Nicht nur Überforderung kann zu Stress führen, sondern auch Unterforderung. Wer sich ständig langweilt, lähmende Stagnation und Frust erlebt, wird ebenso wenig in den Flow kommen wie jemand, der dauerhaft am Anschlag ist und nie durchatmet. Erschöpfung komme nicht von Anstrengung, sondern sei eher die Folge von Fremdbestimmung und Sinnverlust, erklärt der österreichische Bestsellerautor Andreas Salcher. Menschen, die im Flow bei einer Tätigkeit aufgehen, fühlten sich dagegen nie erschöpft.
Nach Worten der Forscherin Birte Thissen könnte das Flow-Gefühl evolutionsbiologische Hintergründe haben. Ein Flow entstehe durch eine optimale Anforderungssituation bei einer Tätigkeit, die Menschen dazu motiviere, diese Tätigkeit zu wiederholen, sagte sie einmal der Zeitschrift “Psychologie Heute”. Durch die Wiederholung werde wiederum die Fähigkeit trainiert: “Und beim nächsten Mal brauche ich dann eine etwas höhere Herausforderung, um wieder in den Flow zu kommen – so lange, bis ich richtig gut in dem bin, was mich in den Flow bringt.”
Das Ziel: ein ruhiger innerer Zustand
Es handle sich um einen Zustand, “den wir als so positiv empfinden, dass wir ihn mehr oder weniger bewusst anstreben”, erklärte Thissen, die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft an der Universität Hamburg ist. Gewohntes zu finden und gleichzeitig Neues zu erleben, sei “die perfekte Mischung” für einen Flow, sagte die Expertin. Studien deuteten zudem darauf hin, dass ein ruhiger innerer Zustand hilfreich sei. Auch werde derzeit untersucht, inwieweit Imaginationsübungen dafür sorgen könnten, eher in einen Flow zu kommen.
Hillert wirbt zudem für ein gesellschaftliches Umdenken. “Unsere westliche Welt ist recht individualistisch geprägt. Auch in der Psychotherapie lautet die Frage häufig: Was sind für mich relevante Werte, was brauche ich, um glücklich zu sein?” Ein Gefühl von Sinn könne jedoch auch entstehen, wenn jemand sich für andere einsetze, Verantwortung übernehme oder an Herausforderungen wachse. “Entscheidend ist, dass die Aufgabe den Fähigkeiten einer Person gerade noch angemessen und herausfordernd ist”, betont der Psychiater. Hilfreich könne also die Frage an sich selbst sein, was einen daran hindere, im Alltag und Beruf regelmäßig “in den Flow” zu kommen.