Der Sozialpsychologe Heiner Keupp hat nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie im Erzbistum Freiburg eine bundesweite Missbrauchsstudie gefordert. Die Bundesrepublik brauche eine gründliche Gesamtuntersuchung, was an Missbrauchsgeschehen im Land stattgefunden habe, sagte Keupp im SWR. Das könnten die einzelnen Kirchen oder der einzelne Sportverein nicht allein leisten, sondern da müsse die Bundesregierung ein großes Forschungsprojekt aufstellen, forderte er. Keupp ist Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung.
Die Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ forderte eine staatliche Untersuchung durch eine Kommission im Auftrag des Landtags in Baden-Württemberg. Aus Sicht von Betroffenen sei in Freiburg die konkrete Aufklärung von Verbrechen zu kurz gekommen, sagte der Sprecher der Initiative, Matthias Katsch.
Missbrauchsbericht vom Erzbistum Freiburg
Mit dem Erzbistum Freiburg hatte eine weitere Diözese einen eigenen Missbrauchsbericht veröffentlicht. Demnach haben zwischen 1946 und 2014 rund 540 Kinder und Jugendliche im Erzbistum sexuelle Gewalt durch Priester und Ordensleute erlitten. Der Bericht listet mehr als 250 beschuldigte Priester und 33 weitere Beschuldigte wie etwa Diakone auf.
Im Zentrum der Vorwürfe stehen die früheren Erzbischöfe Robert Zollitsch und Oskar Saier. Ihnen werden in dem 600-seitigen Bericht „massive Vertuschung“ und „Ignoranz geltenden Kirchenrechts“ vorgeworfen. Zollitsch war von 2008 bis 2014 auch Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Ihm wird vorgeworfen, Missbrauchsverdachtsfälle konsequent nicht nach Rom gemeldet zu haben. Der amtierende Erzbischof Stephan Burger hat seinen Amtsvorgänger beim Heiligen Stuhl wegen Missachtung des Kirchenrechts angezeigt.
Betroffene bleiben auf der Strecke
Keupp sagte, an dem Verhalten der Erzbischöfe sei sichtbar, was sich auch anderswo gezeigt habe. Der Institutionenschutz sei wichtiger als der Schutz der Opfer. „Auf der Strecke bleiben immer die Betroffenen“, sagte Keupp.
Katsch sagte, Zollitsch sei der erste deutsche Bischof gewesen, der sich im Februar 2010 nach Bekanntwerden des Missbrauchskandals bei den Opfern entschuldigt habe: „Heute wissen wir, er tat dies nicht stellvertretend, er war selbst schuldig.“
Kirchenrechtler schockiert
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller äußerte sich schockiert vom Verhalten des emeritierten Erzbischofs Zollitsch. „Erschreckend ist die völlige Ignoranz von Zollitsch, der als einer der dienstältesten Personalchefs schlimmste Missbrauchsfälle gedeckt und Täter geschützt hat“, sagte er dem Redaktions-Netzwerk Deutschland. „Die Herzenskälte von Zollitsch hat mich schockiert.“