Maria mit Jesuskind: Auf den ersten Blick könnte es ein klassisches weihnachtliches Bildmotiv im Renaissancestil sein, das der britische Streetart-Künstler Banksy am Montag auf Instagram veröffentlicht hat. Doch das Werk, das Maria mit einem Loch in der linken Brust zeigt, aus der eine braune Flüssigkeit tropft, sei bewusst ambivalent und wolle die Betrachter im Unklaren lassen, sagte der Heidelberger Streetart-Experte Ulrich Blanché dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Im Internet werde wild spekuliert, wie das Bild zu verstehen sei, erläuterte Blanché, der Europäische Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg lehrt und drei Bücher über Banksy veröffentlicht hat: „Das hat was von einer Schnitzeljagd.“ Als Zeichen der Authentizität verbreite der unbekannte Künstler, von dem man nur weiß, dass er vermutlich 1974 in Bristol geboren wurde, Fotos seiner Bilder auf Instagram, ohne jeden Kommentar. Damit gebe er seinen mehr als 13,3 Millionen Followern Raum zur Interpretation.
Interpretiert werde das Loch seitlich in der Brust von manchen nicht als Nippel, sondern als Schusswunde. Betrachterinnen und Betrachter sähen darin einen Kommentar zum aktuellen Kriegsgeschehen im Nahen Osten und der prekären Situation von Frauen und Kindern, die dort Hunger leiden. Andere würden das Bild als Kritik an verunreinigten, giftigen Lebensmitteln werten. Auf Instagram erzielte das Werk innerhalb der ersten 24 Stunden mehr als 717.000 Likes.
Auch wenn der Künstler nichts über seine Motive und den Ort preisgebe, handle es sich bei diesem Werk nicht um ein illegales Wand-Graffiti, sagte Streetart-Experte Blanché. Vielmehr habe der Künstler das auf einer Metallplatte entstandene Bild an einen privaten Sammler verkauft. Ein Foto davon sei erstmals in diesem Februar aufgetaucht und gestern auf dem Instagram-Account „Banksy Archive“ veröffentlicht worden.
Dass Banksy vor Weihnachten Werke mit christlichen Motiven veröffentliche, habe bereits Tradition, erläuterte Blanché. Auch das Madonnen-Motiv habe er zuvor verwendet. So zeige etwa das Bild „Toxic Mary“ (2003), wie Maria das Jesuskind mit einem Milchfläschchen füttert, auf dem ein Giftsymbol abgebildet ist. Daran knüpfe der Künstler mit seinem neuen Werk an.