Der Wiener Soziologe Kenan Güngör führt die Zunahme von Antisemitismus hierzulande unter anderem auf die judenfeindlichen Positionen von islamisch geprägten Staaten zurück. Wenn sich etwa der türkische Präsident antisemitisch äußere, habe dies Einfluss auf dem Land nahe stehende Menschen, sagte Güngör am Donnerstagabend in Münster. Recep Tayyip Erdogan hatte die Hamas als Befreiungsbewegung bezeichnet. Im Unterschied etwa zur extremistischen Terrororganisation Islamischer Staat (IS) werde die Hamas staatlich beworben, so Güngör. Mit Blick auf Israel sagte er: “Heute haben Sie in der ganzen islamisch-arabischen Welt de facto dazu eine staatliche auch offizielle Politik, das macht einen großen Unterschied.”
Bereits vor Jahren haben laut Güngör Studien in Deutschland und Österreich gezeigt, dass junge Musliminnen und Muslime deutlich häufiger antisemitisch eingestellt seien als andere Jugendliche. Nun sei zudem zu beobachten, dass sich manche junge Musliminnen und Muslime von der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht verstanden fühlten und sich emotional und politisch von dieser ein Stück weit abwendeten. Denn viele empfänden den politischen und medialen Umgang mit der größeren Anzahl an Toten im Gazastreifen im Vergleich zu den israelischen Opfern als ungerecht. Islamistische Kreise nutzten diese Empörung für Opfer-Narrative nach dem Motto, muslimisches Leben zähle in der westlichen Welt nicht. Oder Israel und der Westen steckten gemeinsam unter einer Decke, um Muslime zu unterdrücken.
Güngör äußerte sich bei einer Fachtagung zum Thema “Politischer Islamismus und autoritärer Nationalismus”. Organisiert hat die Veranstaltung das Exzellenzcluster “Religion und Politik” der Universität Münster in Kooperation mit dem Bundesinnenministerium.