Vielschichtiges Drama um einen aus dem Kosovo stammenden Mann, der in Deutschland eine Familie gegründet und eine neue Heimat gefunden hat, sich aber zunehmend diskriminiert und ausgegrenzt fühlt.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Der Medizintechniker Xhafer (Misel Maticevic) floh vor Jahrzehnten aus dem Kosovo nach Deutschland, wo er eine Familie gegründet und eine neue Heimat gefunden hat. Nun aber mehren sich die Situationen, in denen er sich zunehmend diskriminiert und ausgegrenzt fühlt. Oder bildet er sich das nur ein? Mit dieser Frage spielt das vielschichtige Drama von Visar Morina virtuos und sticht damit mitten in gegenwärtige Debatten um alltäglichen und strukturellen Rassismus.
Der manchmal etwas paranoiahafte Film von 2020 über einen in seinem Selbstbild erschütterten Mann kreist um diffuse Schuldgefühle und verharrt in einer nicht leicht auszuhaltenden Unbestimmtheit, die zu eigener Gedanken- und Bewertungsarbeit zwingt.
Um einen Fall von Paranoia handelt es sich in “Exil” jedenfalls nicht. Denn der Briefkasten voller toter Ratten, den die Töchter des Familienvaters Xhafer entdecken, oder der Kinderwagen, der ein paar Tage früher im Garten plötzlich in Brand gesetzt wurde, sind keine Einbildung. Andererseits ist in “Exil” von 2020 ziemlich früh klar, dass Xhafer zwar ein zärtlicher Familienvater ist, aber auch hochgradig nervös. Seine Umgebung erscheint ihm als ein bedrohlicher Schauplatz, als vermintes Terrain und Gefängnis. Gegenüber Kollegen verhält er sich unhöflich und ungerecht, mitunter auch extrem aggressiv. Seine Frau macht ihm deshalb Vorwürfe; er sei auf seine “ach so benachteiligte Seele” fixiert und unfähig, den Standpunkt anderer einzunehmen. Xhafer macht es, vorsichtig ausgedrückt, sich selbst und anderen nicht leicht. Nur: Warum ist das so?
Zwar arbeitet Xhafer als Medizintechniker in einem guten, sicheren Job. Doch er fühlt sich zunehmend ausgegrenzt. Er klagt darüber, dass Mails nicht angekommen seien; der Raumwechsel bei wichtigen Sitzungen sei ihm und nur ihm nicht mitgeteilt worden; er scheint zu glauben, dass die ganze Welt sich gegen ihn verschworen hat. Was daran ist Einbildung, wo handelt es sich um Tatsachen? Wird Xhafer, ein Deutscher, der aus Kosovo-Albanien stammt und Deutsch mit leichtem Akzent spricht, in seinem Job gemobbt oder am Ende gar rassistisch diskriminiert? Das ist die Frage, mit der “Exil” virtuos und facettenreich spielt – und die er bis zum Ende nicht eindeutig entscheidet.
Wenn man “Exil” des Regisseurs Visar Morina auf einen einzigen Begriff bringen möchte, dann muss man wohl am ehesten von einem Paranoia-Thriller sprechen. Wie bei den großen Vorbildern des Genres aus der New Hollywood-Ära, etwa Coppolas “Der Dialog”, bleibt lange im Unklaren, was man als bare Münze nehmen kann, was sich als Einbildung entpuppt und was als Tatsache.
Zumindest kann kein Zweifel daran bestehen, dass Xhafer in keinem guten Umfeld arbeitet und dass der Ton unter den Mitarbeitern oft gereizt ist. Besonders mit seinem unmittelbaren Kollegen Urs scheint kein normaler Austausch möglich zu sein, weil die Kommunikation offen aggressiv und von gegenseitigem Beleidigtsein geprägt ist, aber auch von unausgesprochener Konkurrenz um die Gunst der Vorgesetzten. Von denen erfährt Xhafer aber auch dann keine Unterstützung oder wenigstens Verständnis, als er sich über die vermeintlich ungerechte Behandlung beschwert.
Durchaus gekonnt setzt Morina verschiedene filmische Mittel ein, um die Film-Realität immer wieder subtil ins Fantastische zu überhöhen. Die Kamera von Matteo Cocco begleitet Xhafer, zeigt sein Gesicht in nahen oder halbnahen Aufnahmen und verkleinert die Räume selbst im Freien ins Enge, Klaustrophobische. Auch der Einsatz der Soundeffekte überzeugt, während die teilweise abstrakte Score-Musik von Benedikt Schiefer oft unnötig plakativ eingesetzt wird.
Das Ensemble spielt betont unterschiedlich expressiv. Während Sandra Hüller als Ehefrau ihrem Mann aktiv entgegentritt und ihn herausfordert, gestaltet Rainer Bock den Arbeitskollegen Urs als passiv-aggressive, gelegentlich auch süffisante Figur, deren Abgründe sich erst im Laufe des Films andeuten. Hauptdarsteller Mišel Maticevic spielt Xhafer hingegen ausdruckslos; gleichzeitig ist aber immer spürbar, dass hier einer vor lauter innerem Druck kurz vorm Platzen steht.
Vielleicht übertreibt Xhafer die Dinge? Vielleicht fehlt ihm selbst eine elementare Empathie? Auch seine Ehefrau stößt an Grenzen, als Xhafers berufliche Probleme zunehmend das Familienleben belasten. Sie findet, dass ihr Ehemann übers Ziel hinausschießt, wenn er von “Rassismus” spricht.
Die Ursachen für alles könnten in einem früh erlittenen Trauma liegen, denn Xhafer hat den jugoslawischen Bürgerkrieg durchlitten. Wer weiß, was ihm dort widerfahren ist? Doch selbst, wenn man das wüsste: Was könnte das entschuldigen oder erklären? Mit all diesen Fragen sticht “Exil” mitten in die Gefühls- und Empfindlichkeitsblasen der gegenwärtigen Debatten um alltäglichen und strukturellen Rassismus.
Denn dass das Opfer immer im Recht und nie rechenschaftspflichtig ist, scheint in den derzeitigen Diskursen über Mobbing, Belästigung und Diskriminierung ausgemacht zu sein. Doch wer bestimmt, wann jemand überhaupt Opfer ist? Wo man überhaupt von Fehlverhalten oder Schlimmerem sprechen kann und nicht etwa um legitime Kritik an schwachen Leistungen? Das ist weit weniger klar.
Dieser Raum diffuser Unklarheiten – unklar nicht über die Tatsache des Leidens, aber sehr wohl über den Anlass und verschiedene Wahrnehmungen – ist der Schauplatz von “Exil”. In einigen Szenen und Dialogen mokiert sich der Film über die gönnerhafte Attitüde, mit der Mehrheitsdeutsche Minderheiten gegenüber Anteilnahme und Interesse heucheln und vermeintlich humane Sprechweisen einüben, die in ihrer Überbetonung aber erst recht ausgrenzen. Deutschland, so hält Xhafer seiner Frau entgegen, sei ein “möchtegern-kultiviertes, zutiefst verlogenes Land”.