Von Thilo Haak
Der Israelsonntag hat das Verhältnis von Juden und Christen zum Inhalt. Für uns liegt über der Bestimmung dieses Verhältnisses der lange dunkle Schatten unserer nationalsozialistischen Vergangenheit. Wir dürfen nie aufhören, uns diesem Schatten zu stellen. Wir dürfen nicht vergessen, welches Leid Christen aus Deutschland über die Menschen jüdischen Glaubens gebracht haben. Welche Haltung zu diesem beschämenden Handeln geführt hat, mag die Geschichte „Saisonbeginn“ zeigen. Sie spielt in einem Kurort in den Bergen. Dort sind, um das Jahr 1936, drei Arbeiter an einem heißen Spätfrühlingstag damit beschäftigt, am Ortseingang ein Schild anzubringen. Ein Atemzug noch, dann würden die Sommergäste kommen, das Geld anrollen.Es ist nicht einfach, das neue Schild richtig zu platzieren, denn neben dem Ortsschild am Eingang des Kurortes steht ein Kruzifix, das still, aber deutlich auf den tiefen Glauben des Dorfes verweist. Nach längerem Hin und Her findet sich ein Platz direkt neben dem Kruzifix. Die Männer heben Erde aus, rammen einen Pfosten in die Grube und beginnen, ihr neues Schild auf den Pfosten zu nageln. Ihre Tätigkeit bleibt nicht unbeachtet, Neugierige begleiten ihre Arbeit, einige lachen, andere schütteln den Kopf, die Mehrzahl bleibt unberührt und gleichgültig. Als die Arbeiter ihren Arbeitsplatz verlassen, blicken sie zufrieden zu dem Schild mit der Inschrift zurück. Sie lautet: „In diesem Kurort sind Juden unerwünscht.“Neben dem Abbild des gekreuzigten Juden Jesus hängt das Schild, das Juden den Zutritt zu jenem „sauberen“ Kurort verwehrt. In dieser Widersprüchlichkeit liegt die inhaltliche Spitze der Erzählung: Ausgerechnet die, die ihre Frömmigkeit an den Mann aus Israel hängen, würden ihn im Jahre 1936 nicht einmal in ihren Ort lassen! Die Arbeiter merken dabei gar nicht, was sie tun. Sie grenzen einen aus, der schon lange fest zu ihrem Glauben gehört. Sie grenzen gleichsam sich dabei selbst aus, schneiden sich die Wurzel ihres Glaubens ab. So entsetzlich war damals der Wahn, im sogenannten „Dritten Reich“. Das ist nicht die Geschichte von Auschwitz, aber es ist eine Geschichte von vielen, die in die Vernichtungslager führte.(…)
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