Keiner weiß, wie viele Heilige die Kirche verehrt. Nicht einmal die Kirche selbst, stellt der evangelische Pfarrer Joachim Schäfer fest. In seinem Internetprojekt „Ökumenisches Heiligenlexikon“ finden sich derzeit exakt 81 482 Namensnennungen. Allerdings seien viele Heilige aufgrund verschiedener Gedenktage mehrfach genannt, sagt Schäfer. Die tatsächliche Zahl dürfe bei 60 000 liegen.
Seit 14. September 1998, als seine Seite „heiligenlexikon.de“ online ging, ist das Projekt enorm gewachsen. Würde man alle dort hinterlegten Informationen ausdrucken, kämen am Ende 250 000 Seiten heraus. Der Datensatz mit Bildern umfasst laut Schäfer vier Gigabyte, die er auf Bestellung auch auf einer DVD oder einem USB-Stick verschickt.
250 000 Seiten Material gesammelt
Wie kommt ausgerechnet ein evangelischer Pfarrer zu einem Heiligen-Projekt, das eher bei einem Katholiken oder Orthodoxen zu vermuten wäre? „Wie die Jungfrau zum Kinde“, sagt der in Stuttgart lebende 63-Jährige und lacht.
Vor knapp 20 Jahren fiel ihm bei der Vorbereitung eines Familiengottesdienstes auf, dass über den heiligen Franziskus einige widersprüchliche Informationen im Umlauf sind, insbesondere über dessen Gedenktag. Schäfer wurde neugierig und fand irritierende Unterschiede auch in den Biographien anderer Heiliger. Als privates Hobby fing er an, eine einfache Internetseite mit von ihm recherchierten Informationen über Heilige zu veröffentlichen. Dass daraus ein gewaltiges Nachschlagewerk mit derzeit rund 25 ehrenamtlichen Mitarbeitern und jährlich Hunderten von Hinweisgebern wachsen würde, konnte er damals nicht ahnen.
Bis zu seiner freiwilligen Frühpensionierung vor drei Jahren musste Schäfers knappe Freizeit für das Projekt ausreichen. Als Ruheständler sagt er: „Das Lexikon ist mein Beruf.“ Acht bis zehn Stunden pro Tag investiert er. Derzeit arbeitet er die „Acta Sanctorum“ – die von den Jesuiten herausgegebenen „Taten der Heiligen“ – in die Personenbeschreibungen ein.
Als Protestant hat Schäfer ein eher distanziertes Verhältnis zum katholischen Heiligenkult. Mit der Vorstellung, Heilige seien nach ihrem Tod unmittelbar zu Gott gekommen und würden dort nun Fürbitte für die Christen auf Erden leisten, identifiziert er sich nicht. Auf der Internetseite erklärt er das lutherische Verständnis, wonach Heilige in erster Linie als Vorbilder im Glauben betrachtet werden. Aus biblischer Sicht sei aber eigentlich jeder Christ ein „Heiliger“, weil Gott ihn dazu mache.
Ein Hobby Schäfers sind individuelle Reisen auf Spuren von Heiligen. Das hat ihn im vergangenen Jahr ins französische Lourdes geführt, wo an einem Sonntagabend mehrere tausend Menschen in einer Lichterprozession zwei Stunden „Ave Maria“ sangen. Die Atmosphäre sei ähnlich wie auf einem evangelischen Kirchentag gewesen. Er habe dort verstanden, warum sich Menschen nach dem Besuch eines Wallfahrtsorts besser fühlen.
Keinen Anspruch auf Korrektheit
Reisen und Forschungen haben Schäfer auch immer wieder auf Fehler in gängigen Heiligenbeschreibungen gestoßen. Historische Daten und Orte sind nicht selten falsch, was der Theologe auf mangelnde Recherchemöglichkeiten in früheren Jahrhunderten zurückführt. Überhaupt sei es ein Problem, dass Publikationen über Heilige häufig nur voneinander abschrieben und sich deshalb Fehlinformationen über Jahrzehnte und Jahrhunderte fortpflanzten.
Trotz seiner akribischen Arbeit erhebt Pfarrer Schäfer keinen Anspruch auf wissenschaftliche Korrektheit. Kriterium für die Aufnahme ins Internetlexikon seien eine Nennung in katholischen und orthodoxen Heiligenkalendern oder im Evangelischen Namenskalender. Eine Ausnahme gibt es: den Protestanten Georg Elser (1903-1945), der ein Attentat gegen Adolf Hitler vorbereitete und dafür hingerichtet wurde. Diesen württembergischen Widerstandskämpfer hat Schäfer auf eigene Faust ins „Ökumenische Heiligenlexikon“ aufgenommen.
• Weitere Informationen im Internet: www.heiligenlexikon.de.