KASSEL/FRANKFURT AM MAIN – Nach Kritik aus der evangelikalen Bewegung hat der Vorstand des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes seinem Präses Michael Diener das „volle Vertrauen“ ausgesprochen. Mit profunden theologischen Kenntnissen, großem Einsatz und strategischem Geschick habe Diener dem Dachverband der pietistischen Gemeinschaftsbewegung entscheidende neue Impulse gegeben, heißt es in einer Mitteilung. Für die Deutsche Evangelische Allianz unterstrich der geschäftsführende Vorstand, auch in Kontroversen wolle man beieinander bleiben.
Äußerungen Dieners, der auch Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und seit November Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, waren in den Reihen der Evangelikalen auf zum Teil heftigen Widerspruch gestoßen. In Reaktion darauf regte der langjährige CVJM-Generalsekretär und frühere proChrist-Hauptredner Ulrich Parzany ein neues deutschlandweites „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ an.
Diener hatte in der Tageszeitung „Die Welt“ evangelikale Christen ermahnt, in Fragen der Sexualethik selbstkritischer zu sein. Genaue Lektüre der Bibel zeige, dass es „keine einzige Stelle gibt, wo sexualethische Verfehlungen allein gebrandmarkt werden“. Immer gehe es auch um Heuchelei, schlechte Nachrede oder Lieblosigkeit. „Und da müssen wir Pietisten uns auch an die eigene Nase fassen“, sagte er.
Beim Thema Homosexualität warb Diener dafür, Spannungen in der Kirche auszuhalten. So sehe er in der Bibel keinen Auftrag für die Kirche, homosexuelle Paare zu segnen. Dennoch habe er gelernt anzuerkennen, „dass Menschen bei dieser Frage die Bibel anders lesen. Diese Brüder und Schwestern sind mir genauso wichtig wie diejenigen, die meine Meinung teilen“. Diese Haltung mache der evangelikalen Bewegung Probleme, räumte Diener ein.
Diese Äußerungen lösten einen Streit im evangelikalen Lager aus. In einem offenen Brief äußerte Parzany Unverständnis, dass Diener die Evangelikalen immer wieder kritisiere und Positionen relativiere, „die wir doch gemeinsam vertreten“. Parzany: „Ich dachte immer, die Gemeinschaftsbewegung und die freien Werke wären deshalb in der Kirche, dass sie dort gegen Irrlehre und Gleichgültigkeit die Wahrheit der Heiligen Schrift bekennen und leben.“ Auch die Konferenz Bekennender Gemeinschaften und der Evangelische Gemeinschaftsverband Siegerland-Wittgenstein übte Kritik an Diener.
Wie der Gnadauer Verband mitteilte, sei es gemeinsames Anliegen von Präses und Vorstand, „dass alle Personen und Gruppen unserer Bewegung mit ihrem geistlichen Anliegen nach wie vor durch die Spitze des Verbandes nach innen und außen vertreten werden“. Die Klärung von Sachthemen werde in den kommenden Wochen vorangetrieben. Die Deutsche Evangelische Allianz bekräftigte, die Bibel sei verbindliche Grundlage für Lehre und Leben der Christen. „Wir sind uns dessen bewusst, dass sie nicht direkt alle aktuell sich stellenden Fragen beantwortet. Aber wir wollen weiter und immer wieder in ihr die Leitlinien suchen, die dem Geist Jesu Christi entsprechen.“ Als Netzwerk unterschiedlich geprägter Christen tue man dies „miteinander und nicht gegeneinander“. epd
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Evangelikale streiten um Bibelverständnis
Der Präses des pietistischen Gnadauer Verbandes, Michael Diener, mahnt in Fragen der Sexualethik zu mehr Selbstkritik. Verbände sprechen sich für Klärung aus
