Wie umgehen mit steigenden Zahlen von Flüchtlingen? In der EU wird seit Jahren über eine gemeinsame Reform der Asylpolitik gerungen. Nun verständigten sich Parlament und Rat auf eine Einigung. Kritik kommt von Verbänden.
Das Europaparlament und die spanische EU-Ratspräsidentschaft haben sich in der Nacht auf Mittwoch auf einen Kompromiss für die Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik verständigt. Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in der Einigung den Schlüssel für eine Steuerung und Ordnung der Migration sieht, befürchten Asylverbände und Kirchen, dass humanitäre Standards verloren gehen.
Künftig muss demnach jeder Flüchtling an den EU-Außengrenzen strikt kontrolliert und registriert werden. Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, wird ein rechtsstaatliches Asylverfahren an den Außengrenzen durchlaufen und im Fall einer Ablehnung von dort zurückkehren müssen. Dabei werde besondere Rücksicht auf Kinder genommen, heißt es. Zudem sieht die neue Verordnung eine verpflichtende Solidarität für EU-Länder vor, die mit hohen Flüchtlingszahlen umgehen müssen. Mitgliedsstaaten, bei denen das nicht der Fall ist, können wählen, ob sie Asylbewerberinnen und -bewerber aufnehmen oder finanzielle Beiträge leisten.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bedauerte, dass Deutschland sich nicht mit seiner Forderung habe durchsetzen können, dass Kinder und Familien aus den Grenzverfahren ausgenommen würden. Sie begrüßte dagegen, dass mit der Regelung erstmals die EU-Mitgliedstaaten zu Solidarität verpflichtet würden. Damit steige Europa endlich in eine faire Verteilung der geflüchteten Menschen ein.
Pro Asyl zeigte sich entsetzt über den Kompromiss. Dieser von den europäischen Gesetzgebern beschlossene Abbau von Menschenrechten im Flüchtlingsschutz versperre für viele den Zugang zu Schutz und errichte ein System der Haftlager für Menschen, “die fliehen und nichts verbrochen haben – selbst für Kinder und ihre Familien”. Durch die Ausweitung des Konzepts der “sicheren Drittstaaten” befürchtet der Verband “neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen, durch die EU-Länder sich vom Flüchtlingsschutz freikaufen wollen”. Ähnlich äußerte sich die Arbeiterwohlfahrt.
Kritik kam auch von den Kirchen. “Das Vorhaben, unschuldige Menschen – auch Familien mit kleinen Kindern – in haftähnlichen Lagern an den EU-Außengrenzen zu internieren, ist verantwortungslos”, erklärten die Kirchen am Mittwoch in Berlin. Statt auf Abschreckung und Abschiebung zu setzen, statt Menschen der Perspektivlosigkeit und Not auszuliefern, müsse in der Europäischen Union endlich ein gemeinsamer Raum des Schutzes und der Solidarität geschaffen werden. Deren Beauftragte, Erzbischof Stefan Heße und Bischof Christian Stäblein, betonten, gerade zu Weihnachten werde daran erinnert: “Gott will uns in einem schutzbedürftigen und verletzlichen Kind begegnen. Er kommt als Flüchtlingskind zur Welt.” Es passe nicht zusammen, Weihnachten zu feiern und den Flüchtlingsschutz zu schwächen.
Der Deutsche Caritasverband blickt ebenfalls mit “deutlicher Skepsis” auf die Einigung. “Der Preis, den die Europäische Union für die Einigung über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem bezahlt, ist hoch. Der Mehrwert für ein faires, solidarisches Asylsystem ist aber nicht gegeben”, kritisierte Steffen Feldmann, Vorstand für Internationales bei der Caritas. Auch nach dem neuen System würden die Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen weiterhin einen hohen Anteil der Verantwortung für die Flüchtlingsaufnahme tragen müssen.
Die nun erzielte informelle Einigung muss noch vom Plenum des Europäischen Parlaments und vom Rat formell verabschiedet werden. Die Reform soll vor der Europawahl am 9. Juni abgeschlossen werden.