Estland ermöglicht gleichgeschlechtlichen Paaren ab nächstem Jahr die Heirat. Das Parlament in Tallinn hat mit 55 gegen 34 Stimmen ein entsprechendes Gesetz beaschlossen. Bisher konnte eine Ehe nur von einem Mann und einer Frau geschlossen werden. Künftig können dies im nördlichsten Baltenstaat zwei volljährige Personen unabhängig von ihrem Geschlecht.
Die liberale Regierungschefin Kaja Kallas sprach von einer “historischen Entscheidung”, mit der man anderen nordischen Ländern folge. “Ich bin stolz auf mein Land. Wir bauen eine Gesellschaft auf, in der die Rechte aller respektiert werden und Menschen frei lieben können”, schrieb sie auf Twitter. Kallas hatte ihre politische Zukunft mit der Verabschiedung des Gesetzes verknüpft. Hätte das Parlament die Ehe für alle nicht legalisiert, wollte die Premierministerin die Vertrauensfrage stellen. Auf Antrag der Opposition kam es später am Dienstag trotzdem zu einer Vertrauensabstimmung, die Kallas gewann.
Kritik von der Kirche
Im Osten Europas erlaubte bisher nur Slowenien gleichgeschlechtlichen Paaren die Heirat. In Estland konnten diese seit 2014 bereits eine eingetragene Partnerschaft eingehen. Auch künftig können in dem Land mit 1,3 Millionen Einwohnern alle Paare alternativ zur Ehe eine Lebenspartnerschaft schließen, die aber weniger Rechte umfasst. Seit April wird Estland von einer Koalition aus Kallas’ liberaler Reformpartei, der linksliberalen Partei Estland 200 und den Sozialdemokraten regiert.
Estlands evangelisch-lutherische Kirche (EELK) hatte sich klar gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen. Ihr gehören elf Prozent der Bevölkerung an – mehr als jeder anderen Kirche. Der leitende Erzbischof der EELK, Urmas Viilma, betonte vor dem Parlamentsvotum, das estnische Familienrecht berücksichtige bisher das jüdisch-christliche Eheverständnis. “Die geschlechtsneutrale Ehe schafft einen Widerspruch, den niemand braucht”, so der Erzbischof. Rund 70 Geistliche der Kirche sind nach seinen Angaben befugt, Eheschließungen im Namen des Staates zu registrieren. Viilma hatte nicht ausgeschlossen, dass seine Kirche dieses Recht aufgibt, wenn der Staat die Ehe für alle erlaube.