Zur Ruhe kommen
Für mich bedeutet Advent und Weihnachten vor allem eines: zur Ruhe kommen. Ja, ich weiß. Das klingt absurd. Die Arbeit häuft sich. Termine, Sitzungen, Konferenzen. Alles muss noch schnell vor Weihnachten erledigt werden. Das ist wohl so ähnlich, als ob man einer Pfarrerin sagen würde, sie solle jetzt, so kurz vor Weihnachten, zur Ruhe kommen. Oder einem Küster. Oder einem Rettungssanitäter.
Und trotzdem. Ich nehme mir die Zeit. Letzten Sonntag saß ich zwei Stunden in einer Kirche. Ganz allein (hatte mir den Kirchenschlüssel geben lassen.) Natürlich hätte ich auch einen Artikel schreiben können. Oder E-Mails. Telefonieren. Mit der Familie etwas unternehmen.
Stattdessen habe ich da gesessen. In der Sakristei. Nicht zielgerichtet nachgedacht. Nichts geplant. Nicht mal „ordentlich“ gebetet. Einfach da gesessen.
Gedanken, Bilder, sogar Töne – sie kamen dann ganz von allein. Tauchten auf und verschwanden wieder. Ich habe nichts notiert. Nichts weiter verfolgt. Und am Ende den Eindruck gehabt: Ja, Gott. Du bist mir nahe.
Gerd-Matthias Hoeffchen
Mehr als tausend Worte
Ich gestehe es frei: Heiligabend ohne „O du fröhliche“ – das geht gar nicht. Am besten ist die letzte Strophe: „Himmlische Heere jauchzen dir Ehre“. Wenn die Orgel alle Register zieht oder die Bläser alles geben, was ihre Instrumente erlauben – dann kann es Weihnachten werden.
In fast sechs Lebensjahrzehnten habe ich an Predigten an Heiligabend so gut wie alles gehört, was man sich denken kann. Da erwarte ich nicht mehr viel. Jedenfalls nicht mehr viel Neues. Aber die Musik – sie erhebt meine Seele. Jedes Jahr wieder. Mögen die Lieder noch so oft gesungen worden sein und mögen manche Neunmalklugen noch so penetrant die vermeintlich oberflächliche Stimmungsmache kritisieren.
Die Orgel ist die Leiter zum Himmel, sagte kürzlich ein Orgelbauer, als die Orgelbaukunst in den Rang des Weltkulturerbes erhoben wurde. Ich würde noch den Gesang ergänzen – ganz gleich ob im Chor oder in der Gemeinde – und die Posaunenchöre. Wie arm wäre unsere Kirche ohne das alles.
Wie arm wäre ich. Ganz besonders an Weihnachten, das für mich ohne Musik nicht vorstellbar ist. Im Elternhaus gab es keinen einzigen Heiligabend, ohne dass wir musiziert hätten (wenn auch in einem gewissen Alter manchmal mit Unwillen). Und so ist das bis heute.
„Die Alten schauen himmelwärts“, diese Zeile aus dem Lied „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“ liebte mein Vater, als er älter wurde, ganz besonders. Nun ist er im Himmel, genau wie meine Mutter. Aber etwas haben sie uns, die wir mittlerweile beginnen, himmelwärts zu schauen, hinterlassen: die wunderbare irdische Erfahrung, dass Posaunen und Trompeten, Orgeln und Flöten manchmal viel mehr sagen als tausend Worte.
Annemarie Heibrock
Ende und Anfang
Für mich bedeutet dieses Jahr Weihnachten einen Einschnitt. Lange Jahre habe ich mit meinen Eltern gefeiert, die letzten Jahre dann mit meiner Mutter. Wir hatten unsere Traditionen mit Gottesdiensten und gegenseitigen Weihnachtsbesuchen. Heiligabend bei der Familie meines Bruders, ein festliches Mittagessen ein paar Tage später bei uns.
In diesem Jahr nun ist alles anders. Meine Mutter verstarb am 2. Januar für uns alle überraschend. Nun müssen wir „Kinder“ neue Traditionen schaffen. Ich verbringe alle drei Feiertage zum ersten Mal mit der Familie meines Bruders. Das bedeutet für uns alle eine Umgewöhnung. Eine Menge Neues kommt auf uns zu, bestimmt verbunden mit vielen Erinnerungen.
Elke Stricker
Geschenke und guter Stress
Hoffnung und Liebe – das ist für mich eng mit Weihnachten verbunden. Weil Gott aus Liebe zu uns auf die Erde kam und selbst Mensch wurde, kann ich glauben, dass er all meine menschlichen Regungen, Probleme und Wünsche nachvollziehen kann. Deswegen kann ich Hoffnung und Lebenskraft aus dem Glauben ziehen. Damit fühle ich mich beschenkt. Deswegen schenke ich selbst gern. Auch wenn meine Familie manchmal mit den Augen rollt, weil es bei mir vor Weihnachten schon mal etwas stressig werden kann. Aber ich erlebe das als guten Stress, ich habe dennoch meine Freude daran. Ich überlege mir gern Geschenke für verschiedene Menschen. Es macht mich regelrecht glücklich, wenn ich dann die verpackten Gaben vor mir habe. Da freue ich mich geradezu kindlich auf die Bescherung und hoffe, dass ich mit meinen Überlegungen richtig liege.
Anderen eine Freude zu machen, ist Ausdruck meiner Zuneigung zu ihnen. Damit zeige ich, wie sehr sie mir am Herzen liegen. Gleichzeitig bedanke ich mich damit für die Liebe und die Freundschaft, die mir entgegenbracht wird.
Richtig weihnachtlich finde ich es, wenn wir Gäste haben. Menschen, die sonst allein wären, weil sie Single sind oder einen lieben Menschen verloren haben. Das ist nicht jedes Jahr der Fall. Aber diesmal hat es sich angeboten: Ich habe eine Muslimin kennengelernt. Sie hat erzählt, dass sie sich immer vor Weihnachten fürchtet, weil sie da allein in ihrer Wohnung sitzt und oft deprimiert ist. Sie ist mir inzwischen zur Freundin geworden und hat sich gefreut über unsere Weihnachtseinladung. Sie komme gerne, hat sie gesagt, und sei glücklich, nach Jahren endlich mal kein Problem mit Weihnachten zu haben – sie freue sich darauf. Sie wünscht sich, einen Gottesdienst zu besuchen.
Und ich werde mir noch ein kleines Geschenk für sie überlegen. Denn für sie soll auch etwas unter dem Weihnachtsbaum liegen.
Karin Ilgenfritz
Wenn die Glocken läuten
Gottesdienste – das ist es, was für mich Weihnachten ausmacht. Es fing an, als ich zehn war und das erste Mal mit dem Kinderchor in der Christvesper sang. Je älter ich wurde, desto mehr kam Heiligabend dazu: Vormittags singen auf den Fluren des Krankenhauses für die, die Weihnachten nicht nach Hause gehen konnten. Nachmittags drei Gottesdienste hintereinander, im Chor, im Orchester oder in irgendeiner anderen Funktion. Und schließlich nachts um elf noch die Christmette.
Meinen Eltern war das anfangs gar nicht recht. Heiligabend gehört der Familie, war die Meinung, und man muss es doch nicht übertreiben mit der Kirche. Aber mir waren das Zusammensein mit anderen Menschen, das Musizieren und die Bibeltexte eben genauso wichtig.
Dann wurde ich selbst Mutter. Und es kamen Jahre, in denen der Heiligabendgottesdienst aus aufgeregtem Gewusel rund um das Krippenspiel unserer eigenen Kinder bestand. Auch das hatte seine Schönheit – aber ich gebe zu, dass ich es genieße, dem Gottesdienst inzwischen wieder in aller Ruhe folgen zu können und statt der Kinderlieder die alten Gesänge und Texte zu hören.
Wenn die Glocken läuten, die Menschen in die Kirche strömen und das Evangelium einsetzt mit den Worten „Es begab sich aber zu der Zeit …“, dann weiß ich: Gott ist in die Welt gekommen. Es ist Weihnachten.
Anke von Legat