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Erziehungsforscher: Einschulung ist ein langer Prozess

Der Osnabrücker Erziehungswissenschaftler Dominik Krinninger rät Eltern zum Schulanfang ihrer Kinder zur Gelassenheit. Bis Erstklässler wirklich in der Schule angekommen sind, daure es eher Monate statt Wochen, sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Professor an der Uni Osnabrück mit dem Schwerpunkt pädagogische Kindheits- und Familienforschung hat vor einigen Jahren zwölf Familien intensiv in dieser Phase begleitet. Er verrät, worauf es dabei ankommt.

epd: Herr Krinninger, was bedeutet der Schulanfang für die Kinder und deren Familien?

Dominik Krinninger: Es geht ums Großwerden. Wir haben für unsere qualitativen Forschungen zwischen 2014 und 2018 zwölf Familien ein Jahr lang begleitet und auch Gespräche mit Kindertagesstätten und Schulen geführt. Für die Kinder ist es ein Prozess. Sie sind schon länger auf den neuen Lebensabschnitt Schule hingeführt worden, nachdem sie in der Kita nicht mehr zu den Kleinsten gehörten.

In aller Regel freuen sich die Kinder auf die Schule. Es gibt zwar schon ein paar Tränchen beim Abschied von der Kita, in der sie Freundschaften geschlossen und zu einigen Betreuungspersonen eine enge Bindung gefunden haben. Aber die meisten fiebern auf die Schule zu.

Rituale wie eine Ansprache der Direktorin oder ein Schulanfängergottesdienst markieren die Bedeutung des ersten Schultages und sind wichtig. Dieser Tag allein ist aber noch nicht der Übergang.

epd: Wie lange dauert es, bis Kinder in der Schule wirklich ankommen?

Krinninger: Das soziale Ankommen, die Zeit, in der Kinder wirklich einen Anker in der Schule finden, kann einige Monate in Anspruch nehmen. Sie müssen neue Freundinnen und Freunde finden, eine Beziehung zu den Lehrkräften aufbauen und sich am neuen Ort zurechtfinden.

Dann gibt es wenige Fälle, in denen Kinder nicht gut in der Schule ankommen. Das sind oft schwierige Prozesse, in denen es zum Beispiel um besonderen Förderbedarf einiger Kinder geht. Manchen bildungsfernen Eltern fällt es aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen möglicherweise nicht leicht, mit der Schule zu kommunizieren, wenn es Konflikte gibt. Es gibt ein Machtgefälle zwischen Schule und Familie. Der Bildungsweg ist einer der zentralen Wege zur gesellschaftlichen Teilhabe. Wer selbst in der Schule Probleme hatte, hat einerseits Respekt davor, ist aber oft auch misstrauisch.

Es ist eine pädagogische Herausforderung, wenn sich Kinder nicht so leicht an neue Strukturen anpassen können. Was wir bei der Begleitung der Familien für die Studie aber in den allermeisten Fällen nicht erlebt haben, war echter Schulfrust. Es herrschte meist noch die Frische des Anfangs.

epd: Wie können denn Schulen den Übergang erleichtern?

Krinninger: Anders als in der Kita, in der spielerisch gelernt wurde, gibt es nun Fächer und einen verbindlicheren Ablauf. Es geht um das Einfädeln in eine neue Kultur. Die Schulen sollten dabei auch Zeit für die soziale Seite einräumen. Das sind Zeiten, in denen die Kinder einander kennenlernen können. Es sollte der Raum da sein, sich zu dem interessanten Mädchen zwei Plätze weiter zu setzen, die vielleicht eine Freundin werden könnte. Die Schule soll ein Ort sein, an den man sich später gern zurückerinnert.

Die Schulen und auch die Kitas können dafür schon in der Vorbereitung der Einschulung zusammenarbeiten. Sie können zum Beispiel gemeinsame Tage organisieren. Es zeigt sich, dass beide Seiten profitieren, wenn sie sich gut kennen. Denkbar wären auch Modelle, in denen Schulkinder eine Patenschaft schon für die Kinder übernehmen, die noch in der Kita sind. Innerhalb der Schulen gibt es solche Patenschaften von älteren für jüngere Schülerinnen und Schüler häufiger. Übergreifend ist das aber noch selten.

Auch ältere Geschwister können den Weg ebnen. Sie sind dann sozusagen die Pioniere. Deshalb gibt es eine lange Tradition, dass bei wenig Schulplätzen Geschwisterkinder bevorzugt aufgenommen werden.

epd: Und was raten Sie den Eltern?

Krinninger: Was immer gut tut, ist Gelassenheit. Wenn es in den ersten Wochen mal knirscht, die Kinder ihre Lehrer nicht verstanden haben oder mit den Hausaufgaben etwas schiefgeht, sollten sie sich nicht gleich aus der Ruhe bringen lassen. Zugleich sollten sie aber ihre Kinder aktiv begleiten. Auf dem Schulweg ist das offensichtlich für die Sicherheit wichtig. Aber es geht auch um eine soziale Begleitung.

Im Kindergarten herrscht zumeist eine ausgeprägte Kultur der Tür- und Angelgespräche. Eltern bringen ihre Kinder und begleiten sie hinein. Das verändert sich in der Schule. Da ist es wichtig, dennoch mit Lehrerinnen und Lehrern im Kontakt zu bleiben.

In unserer Studie haben wir auch festgestellt, dass sich der Familienalltag und der neue Tagesablauf oft gar nicht so einfach organisieren lassen. Die Kinder fangen früher an und sind manchmal auch früher wieder zu Hause als in der Kita-Zeit. Das kann mit Blick auf Betreuungsangebote schwierig werden. Hier ändert sich zwar möglicherweise etwas, wenn ab 2026 eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule Pflicht wird. Aber aktuell kann es Schwierigkeiten geben. Da ist es wichtig, frühzeitig Lösungen zu suchen.

epd: Und was können Kindertagesstätten leisten?

Krinninger: Die Kitas sind sehr wichtig bei der Vorbereitung. Da geht es zum Beispiel um Sprachförderung. Die Sprache ist die Plattform, auf der alle weiteren Dinge gelernt werden. Wenn Deutsch nicht die Familiensprache ist, brauchen die Kinder eine besondere Unterstützung. Aber im Moment steht das ganze System der Tagesstätten durch den Personalmangel in der Überlastung. Die Kitas leisten, was sie können und das „Gute-Kita-Gesetz“ ringt um Verbesserungen. Aber es ist noch mehr politische Unterstützung nötig.