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Ergreifendes Familiendrama “Halt auf freier Strecke”

Ein Film zeigt, wie eine Familie den nahen Tod des Vaters erlebt – schonungslos, berührend und ohne Pathos. “Halt auf freier Strecke” erzählt vom Sterben inmitten des Alltags.

TV-Drama "Halt auf freier Strecke"
TV-Drama "Halt auf freier Strecke"Arte

Frank (Milan Peschel) lebt mit seiner Ehefrau Simone (Steffi Kühnert) und den beiden Kindern Lilli und Mika in einem Reihenhaus am Stadtrand von Berlin. Die Familie ist gerade erst eingezogen, die Eltern haben eine geregelte Arbeit, das Paar ist glücklich. Als Frank wegen Kopfschmerzen einen Arzt konsultiert, wird ein Hirntumor entdeckt. Die Diagnose lässt keine Hoffnung offen: Ihm bleiben nur noch wenige Monate. Zunächst kann er seinen Alltag noch fortführen, doch bald macht sich die zerstörerische Wirkung des Geschwürs bemerkbar.

Mit dem Smartphone dokumentiert Frank das Fortschreiten seiner Erkrankung und den Alltag mit seiner Familie. Von der Chemo- und Strahlentherapie entkräftet, entwickelt er Wahnvorstellungen, in denen er etwa seinen personifizierten Hirntumor (Thorsten Merten) in der Harald-Schmidt-Sendung auftreten sieht. Franks Körper und Geist sind zunehmend beeinträchtigt; so verliert er sein Gedächtnis, seinen Orientierungssinn, die Kontrolle über seine Körperfunktionen, schließlich sein Sprachvermögen. Auch seine Persönlichkeit unterliegt durch die starken Medikamente einer Veränderung.

Wenn Kinder den nahen Tod des Vaters erleben

Die beiden Kinder müssen mit dem zu Hause betreuten Vater, der rasanten Verschlechterung seines Zustands und dem nahen Tod umgehen. Auch wenn sie das überfordert. Simone gerät ebenfalls an ihre Grenzen. Mit dem Tod sind der Sterbende und die Zurückbleibenden aus zwei verschiedenen Perspektiven konfrontiert. Sie müssen sich unterschiedlichen Fragen stellen und werden die Zeit auf je eigene Weise als Prüfung empfinden.

“Halt auf freier Strecke” von Andreas Dresen ist ein eindringlicher Film über die körperlichen und emotionalen Auswirkungen eines Sterbeprozesses. Mit mobiler Handkamera und einem aus Schauspielern und Laien bestehenden Ensemble gelingt eine realistische Annäherung an das Thema. Ohne Beschönigung und Rührseligkeit wird man mit den Tatsachen des Sterbens konfrontiert. Ein ergreifendes Familiendrama, dessen extreme, aus alltäglichen Vorgängen erwachsende Geschichte im Tod das Leben feiert.

Schneller kann man wohl nicht auf den Punkt kommen. Gleich das erste Bild zeigt in einer langen Einstellung ein Wartezimmer im Krankenhaus. Die Körper haben auf den Stühlen eine gebückte Haltung angenommen, als könnten sie den Launen des Zufalls durch Unscheinbarkeit entkommen. Einen Schnitt weiter ist das Urteil bereits gefallen. Ein Arzt erklärt einem Paar entlang von Röntgenbildern mit schamhaftem Taktgefühl die Diagnose. Ein bösartiger Tumor im vorderen Hirnabschnitt, unoperierbar. Chemotherapie und Bestrahlung so gut wie wirkungslos. Es bleibt eine Lebenserwartung von wenigen Monaten.

Ein Film, der Schmerz spürbar und still erlebbar macht

“Man weiß nicht, warum jemand so eine Krankheit bekommt”, sagt er zu dem Familienvater mit leiser Stimme, “es ist Schicksal.” Das bedrückend wortlose Gespräch wirkt so echt, wie es zurzeit nur Andreas Dresen im deutschen Kino inszenieren kann. Das mag auch daran liegen, dass der Mediziner weiß, wovon er spricht. Er ist ein Klinikarzt in seinem authentischen Empfangszimmer, so wie die Palliativ-Therapeutin, die den 45-Jährigen in seinen letzten Wochen begleiten wird, in ihrem realen Leben sterbende Menschen betreut.

Das Zusammenspiel von professionellen Helfern und Schauspielern ist meisterlich abgestimmt und sorgt neben der auf Realismus getrimmten Handkamera für den verlässlich dokumentarisch anmutenden Ton. Während die Tränen auf dem um Fassung ringenden Gesicht der Ehefrau fließen, sackt das Blut vom puren Zuschauen in die Beine, zumal die Prognose in einem Melodram von Dresen unausweichlich hart ausfällt: Es wird einem nichts erspart.

Am Anfang scheint die Beibehaltung der Normalität noch möglich. Frank trifft Arbeitskollegen, hält den Garten sauber oder schraubt Möbel zusammen. Das Damokles-Schwert der ablaufenden Zeit drückt aber auf seine Stimmung. Er bekommt Wutausbrüche und den manischen Drang, der Handy-Kamera wie in einem Tagebuch seine hilflos springenden Gedanken anzuvertrauen.

Der stille Verfall wird zur Prüfung für alle Beteiligten

Das Arbeiterpaar, das gerade mit zwei Kindern in ein verschuldetes Reihenhaus mit Ausblick auf eine winterliche Wiesenlandschaft gezogen ist, sucht Halt bei der Alternativmedizin. Es sind erschreckend hoffnungslose und fast komische Begegnungen. Statt auf die individuellen Sorgen des Todkranken einzugehen, meint manch eine Psychologin, nach den Ursachen für den Krebs suchen zu müssen und sie in einer gestörten Harmonie zwischen Psyche und Körperenergie zu verorten. Immerhin gibt eine der kuriosen Damen den Ratschlag, sich den letzten Lebensabschnitt schön zu gestalten.

Die Familie nimmt darauf Auszeit in einem Freizeitbad, aber ausgerechnet hier schlägt die Krankheit gnadenlos zu. Während die Kinder den Ernst der Lage nicht begreifen wollen und dem urplötzlich hilfebedürftigen Vater Vorwürfe machen, ist Franks Ohnmachtsanfall für seine Frau der Startschuss zur kritischen Endphase. Schleichend verschlechtern sich die Symptome, der Tumor wächst und raubt seinem Opfer peu à peu die Gewalt über den Körper.

Dresen filmt die Etappen mit entwaffnender Sachlichkeit. Er neutralisiert das Grauen von Sprachrückgang, Verwirrtheit und Inkontinenz in kleinen Schritten durch langsam sich aufbauende Akzeptanz bei den Außenstehenden. Der Film ähnelt zunehmend einer allergischen Desensibilisierung, er möchte Angst vor dem Unausweichlichen nehmen, und er schafft es auch, nicht nur bei der Familie, die allmählich über sich hinaus wächst und die letzten Momente zu einer intensiven Annäherung nutzt.

Starke Schauspieler tragen das schwere Thema bis zum Ende

Leider stört Dresen die perfekt geölte Improvisationsdynamik und das humane Plädoyer für ein würdiges häusliches Sterben durch unnötige Mätzchen. Die kleinen Ausweichinseln, die er mit der Figur des menschelnden Tumors einbaut, mögen zum Durchatmen für ein größeres Publikum gedacht sein. Wenn es sich dieser in der Gestalt von Thorsten Merten auf dem Bett des zunehmend sichtlich Leidenden bequem macht, auf seinen Handybildern grimassiert oder in der Harald-Schmidt-Show Auskunft über seine “bösartigen” Befindlichkeiten gibt, erweist sich der komödiantische Bruch dieser Tagträumereien aber als fatal und bedarf jedes Mal einer Neueinstimmung auf den Sog, den die großartigen Schauspieler trotz des schweren Themas bis zum Schluss durchhalten. Mehr an Zumutung und weniger Klamauk wäre besser gewesen, zumal im Finale die Lebensbejahung triumphiert.

Halt auf freier Strecke, Mittwoch, 6. August, 20.15 – 22.00 Uhr, Arte.