EKD-Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich hat auf die begrenzte Rolle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als Dachorganisation beim Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt hingewiesen. Die Verantwortung für die Aufarbeitung und den Umgang mit konkreten Fällen liege in den 20 Landeskirchen, sagte Heinrich am Mittwoch in Hannover. Das gelte auch für den Missbrauchsverdacht gegen einen ehemaligen Kirchenmitarbeiter im früheren Kirchenkreis Siegen, für dessen Aufklärung die westfälische Landeskirche verantwortlich sei.
Der Umgang mit dem mutmaßlichen Missbrauchsfall, der Mitte November durch einen Zeitungsbericht öffentlich wurde, hatte letztlich zum Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus geführt, die auch ihr Amt als Präses der westfälischen Kirche abgab. Die „Siegener Zeitung“ berichtete, die 60-jährige Theologin habe bereits vor vielen Jahren von möglichen sexuellen Übergriffen gewusst. Kurschus wies dies zurück, sie wisse erst seit einer Anzeige Anfang des Jahres von dem Verdacht.
Heinrich sagte in einer digitalen Pressekonferenz, bei anstehenden Beratungen in den EKD-Leitungsgremien sei zu klären, ob „generell Krisenmanagement in so einer Situation hätte anders laufen müssen“. Sie selbst sei bereits am 25. Mai über den Fall grundsätzlich informiert worden. Die persönliche Nähe von Kurschus zu dem Beschuldigten sei ihr aber erst sehr viel später bekannt geworden. Thema bei einer Ratssitzung sei der Verdachtsfall erst am 11. November gewesen.
An diesem Tag hatte die „Siegener Zeitung“ über den Missbrauchsverdacht berichtet. Der Beschuldigte ist ein ehemaliger Kirchenmitarbeiter aus dem Kirchenkreis Siegen, in dem Kurschus lange Jahre als Pfarrerin und Superintendentin tätig war. Sie kennt den Mann nach eigenen Angaben sehr gut, habe aber nie in einem Dienstverhältnis zu ihm gestanden. Er soll junge Männer sexuell bedrängt haben. Die Staatsanwaltschaft sieht bislang keine Belege für strafbare Handlungen.
Kurschus war nach der Medienberichterstattung und Vorwürfen mangelnder Transparenz öffentlich unter Druck geraten und hatte daraufhin am 20. November den EKD-Ratsvorsitz und ihr Amt als Präses der westfälischen Kirche abgegeben. Sie wolle der Aufklärung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche nicht durch negative Schlagzeilen im Wege stehen und Schaden von ihrer Kirche abwenden.
Die EKD-Synode, die nach einer Unterbrechung wegen des Bahnstreiks erst am Dienstag digital abgeschlossen wurde, fasste vier Beschlüsse zum Thema sexualisierte Gewalt. Zwei davon sind auf die Kooperation der Landeskirchen angewiesen. So soll in der kommenden Woche die gemeinsame Erklärung mit der unabhängigen Missbrauchsbeauftragten des Bundes, Kerstin Claus, unterzeichnet werden, die einheitliche Standards für die Aufarbeitung formulieren wird. In einem Beschluss bittet die Synode schon im Vorgriff die Landeskirchen um eine einheitliche Umsetzung dieser Standards.