Allein in Berlin und Umgebung weist das Veranstaltungsportal der Landeskirche um die 59 Kirchen aus, in denen zum kommenden Sonntag „Kantate“ Kirchenmusik erklingt oder Chöre singen. Eine fünfstellige Zahl von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern singt in Kirchenchören zwischen Görlitz und Prenzlau, zwischen Perleberg und Frankfurt.
Musikalität und Gemeinschaftserleben teilen wohl nahezu alle, die in Kirchen singen, wie die aktuelle Studie „Sozioreligiöse Relevanz der Kirchenmusik“ in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland herausfand.
Corona und die Chöre
Eine Weile schien es, als ob das Chorsingen nach den Einschränkungen der Coronazeit gelitten habe, zumindest in der Quantität. Eine Umfrage bei den rund 40 Chören in der Landeskirche EKBO, die in der Studie „Wieder da – Evangelische Chöre nach der Corona-Krise“ nachzulesen ist, bestätigte das.
Einer der Studienautoren, Tobias Brommann, selbst langjähriger Chorleiter von renommierten Kantoreien, sagt: „Die interessante Frage war, wie sich die Größe des Chores verändert hat. Bedauerlicherweise haben knapp 30 Prozent der Chöre in dieser Umfrage Mitglieder verloren. Aber es gibt erfreulicherweise auch Zuwachs, ebenfalls bei gut 30 Prozent der befragten Chöre. Bei 10 Prozent ist eine Stimmlage im Chor nicht mehr singfähig.“ Unklar ist, ob diese zahlenmäßige Entwicklung „nur“ eine Folge von Corona ist, ob sie einem langfristigen Trend folgt oder ob sich das eine mit dem anderen verbindet.

Während die Faszination für Chormusik beim Publikum ungebrochen ist, müssen sich die Kirchenchöre und Kantoreien innerhalb der Landeskirche noch mehr als bisher um Nachwuchs bemühen, um diese steigende Nachfrage bedienen zu können. „Ich habe hier auf dem Land keine Chance mit klassischer Musik bei Jugendlichen, also verschwende ich da keine Zeit“, erzählt Helge Pfläging, Leiter der Kantorei Templin. Schwierige Arbeitsbedingungen und der Reiz von Freizeit vor den Mobilgeräten führe dazu, dass die jüngsten Chormitglieder bereits um die 40 Jahre sind. Regelmäßig berichten Chorleiter darüber, dass es schwieriger werde, Sängerinnen und Sänger dauerhaft an einen Kirchenchor zu binden. Projekte auf Zeit sind „in“.
Kurzfristiges Engagement
Zum Beispiel in Templin. Pfläging leitet dort die Konzertkantorei und die Seniorenkantorei: „Wenn ich meine Chorprojekte mache, gehen die Mitsängerzahlen erfreulich herauf.“ Dazu nutze er vorhandene Kontakte, das Weitersagen, Werbung in Zeitung und Gemeindeblatt. Für ein Mozart-Requiem-Projekt am Ewigkeitssonntag gingen die Anmeldungen bald durch die Decke.
Das Chorsingen für ein Projekt, einen spektakulären Auftritt, sei sehr attraktiv, wie auch Kreiskantor und Kirchenmusikdirektor Andreas Jaeger aus Finsterwalde berichtet. Im Kirchenkreis Niederlausitz gebe es ein jährliches Chorprojekt unter der Leitung von Kantor Johannes Leonardy aus Lübben und ihm. Jaeger: „Mit rund 80 Sängerinnen und Sängern wird ein größeres Chor- und Orchesterwerk geprobt, in diesem Jahr die Aufführung der Harmoniemesse B-Dur von Joseph Haydn am 28. September in der Klosterkirche Doberlug.“ Es gebe vier Probentage und die Generalprobe. Das Projekt finde regen Zuspruch bei Chormitgliedern aus Kirchenchören und weiteren Sängerinnen und Sängern, die gern das zeitlich begrenzte Projekt für sich als besonderes Ereignis nutzen. „Wir wissen aber auch von Personen, die nur noch zum Chorprojekt kommen und nicht mehr in die traditionellen Kirchenchöre gehen“, so Jaeger.

Die Chöre bleiben am Ball, werben mit der Freude an der Musik und dem Gemeinschaftserlebnis: „Wir versuchen, durch verschiedene Aktivitäten, wie zum Beispiel Singe-Nachmittage von Frühlings-, Herbst- oder Weihnachtsliedern in der Gemeinde, weitere sangeslustige Gemeindeglieder zu motivieren“, sagt Peter Erdmann, Chormitglied im Chor der Potsdamer Auferstehungsgemeinde. Weil die Mitgliederzahl schrumpfte, fusionierte man vor zwei Jahren mit dem Kirchenchor im benachbarten Bergholz-Rehbrücke. Neuzugänge kämen zwar vor, hätten aber keine Trendwende zur Folge.
Kinderchöre: Zulauf in der Stadt, Mangel auf dem Land
Eine Art Stadt-Land-Gefälle zwischen Berlin und dem Rest der Landeskirche scheint es bei Kinder- und Jugendchören zu geben. In städtischen Kirchengemeinden gibt es Zulauf, in ländlichen Kirchengemeinden ist es oft schwer bis unmöglich, Chöre von Kindern und Jugendlichen zu halten oder auszubauen. Peter Erdmann dazu: „Versuche, einen Kinderchor in der Gemeinde zu etablieren, haben bislang nicht zum Erfolg geführt.“ Es habe mehrfach Anläufe dazu gegeben, welche jedoch nach einiger Zeit wieder „eingeschlafen“ seien.