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Einfach nicht totzukriegen

30 Jahre nach dem verordneten Atheismus erlebt die Religion in Osteuropa einen ungeahnten Aufschwung. Eine Studie zeigt, dass sich sehr viel mehr Menschen wieder als orthodoxe Christen zu erkennen geben. Nicht immer ist auch der Gottesdienstbesuch gestiegen

In den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion hat die Religion kaum 30 Jahre nach dem verordneten Atheismus einen ungeahnten Aufschwung erlebt. Das konfessionelle Bekenntnis ist in den mehrheitlich orthodoxen Ländern ein wichtiger Teil der individuellen und nationalen Identität geworden. Zu diesem Befund kommt eine breit angelegte Studie des Washingtoner Pew Research Center. Basis sind Umfragen in 18 Ländern Ost-Mitteleuropas.
Die Autoren der Untersuchung interessierten sich dabei nicht nur für religiöse Aspekte des Alltagsle-bens. Sie konfrontierten die Befragten auch mit Fragen zu Demokratie, Wirtschaft und Sozialem. Die bemerkenswerten Ergebnisse zeigen, wie eng das religiöse Bekenntnis unter Orthodoxen das Nationalbewusstsein bestimmt.
Besonders deutlich wird das in der früheren UdSSR. Der Anteil der Russen, die sich heute als orthodoxe Christen bezeichnen, liegt demnach bei 71 Prozent. 1991 gaben sich gerade mal 37 Prozent als orthodoxe Christen zu erkennen. Ähnlich verlief die Entwicklung in der Ukraine und Bulgarien.

Katholiken halten stärker an Gottesdienstbesuch fest

Etwas anders verhält sich die Situation in den klassischen katholischen Ländern Ost-Mitteleuropas. Seit dem Ende des Sozialismus ist „das Katholische“ der Gesellschaften in Polen, Tschechien oder Ungarn eher etwas zurückgegangen, bewegt sich aber immer noch auf hohem Niveau.
Diese Befunde spiegeln sich allerdings nicht in der Teilnahme an religiösen Ritualen wider. Die Renaissance der Orthodoxie im Osten zeigt sich nicht unbedingt in einem gestiegenen Gottesdienstbesuch. Nur sechs Prozent der gläubigen Russen geben an, mindestens einmal die Woche die Kirche zu besuchen.
Katholiken hingegen halten stark an der Tradition des sonntäglichen Messbesuches fest. Unter Polen sind immerhin 45 Prozent wöchentliche Kirchgänger anzutreffen.
Rund 70 Prozent in orthodoxen Mehrheitsländern halten ihren Glauben für besonders wichtig, wenn es um die Frage der nationalen Identität geht. Für Katholiken ist der Zusammenhang zwischen Glaube und Nation weniger wichtig. Fast zwangsläufig halten sich 69 Prozent der Orthodoxen für kulturell überlegen anderen gegenüber – was nur 46 Prozent der Katholiken für sich in Anspruch nehmen.
Die tatsächliche oder empfundene Nähe von Religionszugehörigkeit und nationaler Identität wirkt sich auch auf die Frage aus, ob der Staat die Mehrheitsreligion aktiv fördern und finanziell unterstützen sollte. Auch hier fordern Orthodoxe deutlich mehr Protektion durch den jeweiligen Staat als Katholiken.

Orthodoxe definieren sich stärker als konservativ

Unterschiede ergeben sich auch mit Blick auf allgemeine Demokratie- und Gesellschaftsfragen. Or-thodoxe definieren sich im Vergleich mit Katholiken stärker als konservativ. Deutlich wird das bei der stärkeren Ablehnung von Homosexualität. Auch beurteilen Orthodoxe mehrheitlich Abtreibung als illegal.
Katholische Abtreibungsgegner sind laut Pew-Studie in Ost-Mitteleuropa jedenfalls in geringerer Zahl anzutreffen als orthodoxe. Interessant auch dieses: In der Welt der Ostkirche hält ein größerer Teil der Menschen an traditionellen Gesellschafts- und Geschlechternormen fest. Zum Beispiel daran, dass Frauen ihren Männern gehorchen sollten.
Ein auffälliges Merkmal der postkommunistischen Welt der ehemaligen Sowjetunion ist auch die ver-breitete Nostalgie für das damalige Vielvölkerreich. Sichtbares Zeichen dafür ist die heute noch größere Popularität Stalins im Vergleich zu Michail Gorbatschow, dem man das Ende der UdSSR anlastet.
Entsprechend widersprüchlich fällt die Akzeptanz der Demokratie aus. Nicht überall wird sie als die beste aller Regierungsformen wertgeschätzt. Erhebliche orthodoxe Bevölkerungsanteile, so die Stu-die, halten eine undemokratische, also autoritäre Regierung unter bestimmten Umständen für besser als ein pluralistisches Regierungssystem.