Es gehört offenbar zur spezifisch deutschen Provinzialität, dass künstlerische Werke anderer Länder und Kulturkreise hierzulande manchmal nur wenig Beachtung finden. Anders lässt sich wohl nicht erklären, dass etwa das dramatische Werk des dänischen Theologen und Dichters Kaj Munk in unseren Breiten nahezu unbekannt geblieben ist.
Munk (1898-1944), als Frühwaise in einem eher pietistisch-erwecklichen Milieu auf der Insel Lolland groß geworden, kommt schon in jungen Jahren mit den Gedanken Nicolaj Grundtvigs, des theologischen Begründers der dänischen Volkskirche, in Berührung. Er studiert Theologie und wird alsbald Pfarrer in Vedersø, einem kleinen Dorf an der jütländischen Küste. Seiner großen Neigung zur Literatur und zum eigenen Schreiben kommt er vor allem durch das Verfassen zahlreicher Dramen nach. Das bekannteste davon ist „Ordet“ – „Das Wort“, das seit seiner Veröffentlichung (1925) in Dänemark und den anderen Ländern Skandinaviens zahlreiche Inszenierungen erfährt und seither in Dänemark zur Schullektüre gehört. Hinzu kommen Übersetzungen ins Französische, Italienische, Spanische, Niederländische und Polnische, dazu zwei Verfilmungen. Munk selbst wird aufgrund seiner unerschrockenen Beteiligung am dänischen Widerstand gegen die deutsche Okkupation am 4. Januar 1944 von einem SS-Kommando hinterrücks ermordet.
Das Drama „Das Wort“, das soeben in einer eindrucksvollen Übersetzung von Paul Gerhard Schoenborn im NordPark Verlag Wuppertal erschienen ist, spielt in einem jütländischen Dorf und thematisiert verschiedene soziale und religiöse Spannungen, vor allem die zwischen einer pietistisch-fundamentalistischen Frömmigkeit einerseits und einem mehr aufgeklärten protestantischen Glauben der Grundtvig-Richtung andererseits. Man geht nicht fehl, wenn man hier auch mancherlei eigene pastorale Erfahrungen und existenzielle Anfechtungen Munks verarbeitet sieht. Doch was zunächst als ein bloß spezifisch innerdänischer Konflikt erscheint, entpuppt sich aber alsbald als viel grundsätzlicherer und bis heute aktuell gebliebener Widerstreit, etwa dem zwischen Glaube und Wissenschaft oder dem zwischen Liebe und starrer Überzeugung.
Theologe, Dichter und Widerstandskämpfer
Es wird zudem deutlich, was geschehen kann, wenn sich eine eher sterile Volkskirche von der Gefühlsebene der „kleinen Leute“ wegentwickelt, nämlich ein Abdriften ins Gesetzliche und Sektiererische. Dabei werden die einzelnen Charaktere von Munk psychologisch überaus fein gezeichnet und in Konflikt zueinander gebracht. Die manchmal fast etwas aufgesetzt erscheinende Dramatik dieses Stückes ist wohl vor allem der Zeit seiner Entstehung geschuldet. Aber welch einem Werk der Weltliteratur spürte man die zeitgeschichtliche Patina seiner Geburtsstunde nicht ab? Unabhängig von der natürlich jeder Zeit gegebenen Möglichkeit, auch „historische“ Stoffe gegenwartsnah, kreativ und womöglich völlig neu zu inszenieren.
Es ist das große Verdienst von Schoenborn, der sich seit vielen Jahren für ein angemessenes Gedächtnis des Theologen, Dichters und Widerstandskämpfers Kaj Munk engagiert, dass er nun eines seiner wichtigsten Schauspiele ins Deutsche übersetzt hat. Dabei gelingt es ihm, Munks eindringliche, ursprünglich eher spröde, ja kantige Sprache zu erhalten und so authentisch über die Bühne zu bringen. Hier wird nichts geglättet oder einem vermeintlichen Unterhaltungsbedürfnis angepasst.
Wer dieses Drama liest oder sieht, wird sich dabei nicht entspannt zurücklehnen können. Im vom Dänischen Kulturministerium herausgegebenen „Kulturkanon“ von 2006 heißt es: „Nichts ist leichter, als ,Das Wort‘ zu kritisieren. Einerseits für den radikalen Genrewechsel: Die ersten Akte sind eine Volkskomödie, während die letzten Akte den Charakter eines Mysterienspiels haben. Andererseits für die Derbheit, welche die Dialoge prägt und ihnen einen Hauch von kaltem Kalkül verleiht. Aber die Kritik verstummt, weil ,Das Wort‘ mit einer Wildheit geschrieben ist, die bewirkt, dass man Szene für Szene verschlingt.“
Es ist dem Stück zu wünschen, dass es in dieser ausdrucksstarken Übersetzung endlich auch hier den Weg in die Öffentlichkeit findet. Welche kleine Studiobühne oder engagierte gemeindliche Theatergruppe hat den Mut, sich solch eines unbequemen, aber gleichwohl bedeutsam gebliebenen Stoffes anzunehmen?