Die Landesarmutskonferenz (LAK) Mecklenburg-Vorpommern veranstaltet am 10. Oktober in Neubrandenburg einen Fachtag zum Thema „Armutsrisiko Altern – Altersrisiko Armut“. Vorab sagte LAK-Sprecher Kai Brauer dem Evangelischen Pressedienst (epd) unter anderem, warum Altersarmut wieder ein Thema ist. Der Soziologe ist Professor an der Hochschule Neubrandenburg.
epd: Warum ist Altersarmut wieder ein Thema?
Kai Brauer: Die deutsche Rente war „statussichernd“ kalkuliert und hatte über Jahrzehnte für meist auskömmliche Alterseinkommen gesorgt und zu sinkender Altersarmut geführt. Durch die geänderte Rentenformel ist das Rentenniveau seit 2001/2002 aber sukzessive gefallen. Es beträgt aktuell 48 Prozent des Durchschnittseinkommens für die, die theoretisch 45 Jahre durchgängig eingezahlt haben, was in der Lebenspraxis Mecklenburg Vorpommerns recht selten sein dürfte. Inzwischen bleiben nur noch Vermögende, höhere Beamte und die wenigen, die tatsächlich durchgängig über die gesamte Erwerbsbiographie hohe Einkommen erzielten, abgesichert. Das Eckrentenniveau soll aber noch weiter fallen, bis 2030 auf 43 Prozent. Das wird zwangsläufig für viele zu Altersarmut führen.
epd: Wie äußert sich Altersarmut?
Brauer: Sie geht einher mit Wohnungsnot und mit geringerer gesundheitlicher Versorgung. Und das führt zu einer höheren Belastung der kommunalen Haushalte und zu steigenden Pflegekosten. Denn Armut macht krank und einsam. Übrigens einsamer als das Altern selber.
Auch junge Erziehende werden belastet, weil die Großeltern seltener als willkommene Spender helfen, sondern zusätzlich zu Unterstützungsbedürftigen werden. Ältere waren in den Gemeinden auch als verlässliche Konsumentinnen bekannt. Auch das fällt weg, was sich in Einzelhandel und Gastronomie künftig stärker bemerkbar machen wird.
epd: Was sollte getan werden, um Altersarmut vorzubeugen?
Brauer: Vieles. Es gibt zwar eine Anzahl an staatlichen Hilfen, für deren Inanspruchnahme sich viele Ältere aber schämen bzw. ihre Rechte nicht kennen. Mehr verlässliche professionelle Beratungsstellen müssen daher in der Fläche etabliert und personell gut ausgestattet werden.
Initiativen, integrative Selbsthilfegruppen, die an den Wohnorten unabhängig von Alter und Herkunft unterstützen, die Mut machen, vernetzen und gegen Einsamkeit wirken, müssen gestärkt und gefördert werden. Grundsätzlich muss Altersfeindlichkeit und Altersscham entgegengewirkt werden. Niemand kann etwas für sein Alter.
Ein sinkendes Rentenniveau ist kein persönliches Versagen. Auch lassen sich Lebenskrisen und -schicksale nicht rückgängig machen. Eine deutliche Anhebung des Rentenniveaus für das untere Drittel der gesetzlichen Alterseinkommen ist überfällig. Ein Minderwachstum im oberen Drittel wäre verschmerzbar und solidarisch.
Die Privatisierung der Rente hat zu einem massiven Vertrauensverlust in die Verheißungen der Bundesrepublik als verlässlichen Wohlfahrtsstaat geführt. Wer immer wieder die „Unbezahlbarkeit“ des Sozialstaates oder des Umlageverfahrens predigt, entsolidarisiert und unterstützt die Totengräber der Demokratie. Sicherheit wird nicht über Aktienspekulationen hergestellt und Armut nicht durch Privatversorgung bekämpft, sondern verschärft. Aus sozialhistorischer Perspektive ist die Rückkehr der privaten Alterssicherung und die damit steigende Altersarmut eine elementare Bedrohung des sozialen Friedens in Deutschland.