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Ein Sexualstraftäter, viele Scherbenhaufen

In Schwarzach bei Kulmbach herrscht eine Mischung aus Betroffenheit, Verzweiflung und Wut. Das dortige evangelische Pfarrerspaar wurde hochgelobt, seit es vor rund drei Jahren medienwirksam von einem Headhunter in Brasilien entdeckt und nach Oberfranken geholt wurde. Doch seit einigen Tagen ist klar: Der Pfarrer ist ein rechtskräftig verurteilter Sexualstraftäter – im Pfarrhaus in Schwarzach hat er sechsmal ein zwölfjähriges Mädchen missbraucht. Vorerst wohnt der Mann mit seiner Familie weiter am Tatort.

Schwarzach hat um die 440 Einwohner und gehört zur Marktgemeinde Mainleus. Hier kennt jeder jeden und vermeintlich weiß man auch von jedem alles. „Es hätte sich keiner vorstellen können, dass der Mann so etwas macht“, sagt Bürgermeister Robert Bosch (CSU). Der Pfarrer sei „im Umgang eine äußerst angenehme Person“ und ein charismatischer Typ gewesen. Selbst überzeugte Katholiken seien in seine Gottesdienste gekommen. Dass die Pfarrersfamilie weiterhin in Schwarzach bleibt, könne er sich angesichts der Lage kaum vorstellen.

Das Amtsgericht Kulmbach hatte den Mann Anfang Dezember wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen zu einer Haftstrafe auf Bewährung von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Das Urteil ist bereits rechtskräftig, weil der Mann auf Rechtsmittel verzichtet hatte. Zwischen Dezember 2023 und März 2024 hat er sechsmal ein zwölfjähriges Mädchen im Pfarrhaus missbraucht. Vor Gericht war er geständig und ersparte dem Kind eine Aussage. Seinen Job als Pfarrer verliert er nun, so fordert es das Pfarrdienstrecht.

Das sind die Fakten. Doch über die Zeit zwischen den Taten und September, als die Staatsanwaltschaft ganz offiziell gegen den Pfarrer zu ermitteln begann und dies der Landeskirche mitteilte, gibt es noch Unklarheiten. Die Kirche untersagte dem Mann am 4. September – zwei Tage nach der „Mitteilung in Strafsachen“ durch die Staatsanwaltschaft – für die Dauer des Verfahrens die Ausübung des Pfarrberufs. Seine Frau arbeitete nach kurzer Pause weiter als Gemeindepfarrerin vor Ort. Das Paar hatte sich die Schwarzacher Pfarrstelle geteilt.

Nach Informationen des Evangelischen Pressedienstes (epd) war aber seit Sommer auch das Jugendamt des Landkreises Kulmbach eingebunden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt müsste der Pfarrerin klar gewesen sein, was ihrem Mann vorgeworfen wird. Ihre Vorgesetzten haben sie nach epd-Informationen nicht aktiv informiert. Nach deutschem Recht muss sich aber niemand selbst und auch nicht seinen Ehepartner belasten. Die Frage nach der besonderen „moralischen Fallhöhe“ bei Pfarrern stelle sich trotzdem, heißt es aus Kirchenkreisen.

Die Missbrauchstaten haben alle im rein privaten Bereich stattgefunden und nicht im dienstlichen Kontext. Auch deshalb kam der geschäftsführende Pfarrer Holger Fischer aus Kulmbach vergangene Woche offenbar zu dem Schluss, dass vom verurteilten Pfarrer derzeit keine Gefahr ausgehe – auch wenn dieser vorerst weiter im Pfarrhaus bleiben darf. Dagegen habe die Landeskirche keine rechtliche Handhabe, sagt eine Sprecherin. Der Frau sei das Pfarrhaus als Dienstwohnung zugewiesen, deshalb dürfe der Mann dort wohnen bleiben.

Zu vielen Details und Gerüchten, die seit Tagen in und um Schwarzach die Runde machen, könne und wolle sich die Landeskirche nicht öffentlich äußern, sagt die Sprecherin: Datenschutz, Dienstrecht, Opferschutz, Schutz der Familie. Unterdessen klingeln Boulevardmedien bereits bei Nachbarn. Die ForuM-Studie von evangelischer Kirche und Diakonie hatte im Januar Faktoren benannt, die im evangelischen Kontext Missbrauch begünstigen und Aufarbeitung lähmen: Verantwortungsdiffusion war einer der Punkte, mangelnde Transparenz ein anderer.

Am Dienstagabend teilte die Landeskirche auf epd-Anfrage mit, dass die Pfarrerin „bis auf Weiteres nicht im Dienst“ sei und auch keine Weihnachtsgottesdienste halten werde. Auf der Internetseite der Kirchengemeinde waren bis Dienstag noch mehrere Familiengottesdienste mit ihr in den kommenden Tagen aufgelistet. Ob sie ihren Dienst freiwillig ruhen lässt, ist nicht bekannt. Klar dagegen ist: Weil ihr Mann als Stellenteiler wegfällt, könnte die Pfarrerin laut geltendem Dienstrecht anschließend auch gegen ihren Willen versetzt werden.

Die Landeskirche betonte am Dienstag in ihrer Antwort auf eine epd-Anfrage, man habe der Pfarrerin bereits im September „die Hilfe der kirchlichen Meldestelle“ bei der Fachstelle für sexualisierte Gewalt zum Umgang mit der Situation angeboten. Ob sie diese Hilfe angenommen hat, ist nicht bekannt. Die Meldestelle habe auch mit dem zuständigen Dekan Anfang September Kontakt aufgenommen und ihn beraten. (00/3996/18.12.2024)