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Ein Sammler schaut wehmütig auf 175 Jahre deutsche Briefmarken

Philatelie war einmal ein Steckenpferd von Millionen Bundesbürgern. Diese Zeiten sind vorbei. Und Opas Album? Höchstwahrscheinlich wertlos. “Damit können Sie Ihre Wand tapezieren”, sagt ein Experte.

Am 1. November vor 175 Jahren begann das Briefmarkenzeitalter in Deutschland. Lang wird es nicht mehr dauern, befürchtet der passionierte Straubinger Sammler Peter Zollner. Daran sei auch die Post schuld, sagte Zollner in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der 72-Jährige ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bayern (klassisch) im Bund deutscher Philatelisten.

KNA: Herr Zollner, was hat Ihre Sammelleidenschaft entfacht?

Zollner: Mein Vater hatte einen Freund, der den Assuan-Staudamm mitgebaut hat. Der hat mir aus Ägypten bisweilen Briefmarken mitgebracht. Von ihm habe ich mein erstes Album bekommen, da war ich noch keine zehn Jahre alt.

KNA: Unlängst wurde in Wiesbaden ein Ersttagsbrief vom 1. November 1849 für 440.000 Euro versteigert.

Zollner: Der hätte auch eine Million Euro erzielen können, wenn er besser erhalten wäre. Aber der Zustand ist nicht 1 a.

KNA: Und der berühmte “Schwarze Einser”?

Zollner: Die Briefmarke als solche ist unter den klassischen Marken Massenware und absolut keine besondere Rarität. Man braucht davor nicht in Ehrfurcht zu erstarren. Es wurden mehr als 800.000 Stück hergestellt. Bei jeder besseren Auktion können Sie mehrere davon kaufen. Bei Ebay sind in der Regel mehr als 50 davon eingestellt.

KNA: Was muss ich dafür investieren?

Zollner: Hängt ganz von der Optik und der sonstigen Erhaltung ab. Für lose Marken fangen die Preise so bei 250 Euro an und gehen bis 4.000 Euro.

KNA: Und die sind alle echt?

Zollner: Im Normalfall ja. Weil die Fälschungen leicht zu erkennen sind. Aber auszuschließen ist es natürlich nicht, dass sich in dem großen Angebot auch einmal ein faules Ei versteckt.

KNA: Wurden die ersten deutschen Postwertzeichen vor Betrug geschützt?

Zollner: In die Marken zu 3 und zu 6 Kreuzern wurde ein roter Seidenfaden in das Papier eingearbeitet. Den Einser hat man, so scheint es, mit seinem niedrigen Nennwert nicht für würdig befunden, ihn derart zu schützen.

KNA: Ab wann wurde eigentlich das Sammeln zum Hobby?

Zollner: Das ging so um 1860 los. Da gibt es die ersten Kataloge und Händlerlisten.

KNA: Taugen Briefmarken noch als Geldanlage?

Zollner: In den 1960er Jahren galten sie als “Aktien des kleinen Mannes”. Da wurden sie von breiten Bevölkerungsschichten bogenweise am Postschalter gekauft. Da war eigentlich schon abzusehen, dass das, was viele x-fach haben, dereinst niemand mehr brauchen würde. Heute ist so gut wie alles, was nach 1956 erschienen ist, mehr oder minder wertlos. Damit können Sie Ihre Wand tapezieren. Der Preisverfall begann etwa vor 30 Jahren. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.

KNA: Erzählen Sie.

Zollner: Vor drei Monaten habe ich im Internet ein Album versteigern wollen, Bund komplett von 1970 bis 2000, Nennwert 750 Mark. Ich habe gehofft, wenigstens 50 Euro zu erzielen, dann lag das Höchstgebot bei 13 Euro. Besser aufgehoben ist man bei der klassischen Philatelie. Das ist grob gesagt alles, was älter ist als 100 Jahre. Stimmen Qualität und Optik, kann man im Hinblick auf Werterhaltung beim Kauf nichts verkehrt machen.

KNA: Den Sammlergilden geht der Nachwuchs aus. Wie ist das in Ihrer Familie?

Zollner (seufzt): Ich habe es bei meinen Buam mit allen Tricks versucht. Habe für sie eine Motivsammlung mit Dinosauriern angelegt, das hat vielleicht eine Woche lang interessiert. Dann habe ich es mit Eishockey probiert. Bis ich mir gedacht habe: Ihr könnt’s mi gern haben. Entweder hat man das Sammelgen – oder eben nicht. Erzwingen kann man da nichts.

KNA: Stirbt die Briefmarke im Zeitalter von E-Mail und Messengerdiensten komplett aus?

Zollner: Im Alltag sind wir ja schon fast so weit. Wo ist denn noch ein Brief mit einer Marke versehen? Und wenn, sind es immer die gleichen. Da fehlt insbesondere für Kinder im Alltag der Stimulus und die Möglichkeit, kostenlos Marken aus der Korrespondenz zu bekommen. So fing früher bei fast jedem die Sammelei an. Die meisten Poststellen verkaufen gar keine Sondermarken mehr. Die sind auch nicht mehr verpflichtet, Marken abzustempeln, nicht einmal auf Verlangen. Also, die Post ist auch mit schuld.

KNA: Schade?

Zollner: Es gibt heute viele Möglichkeiten zum Zeitvertreib. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es kein Hobby gibt, das neben seinem Selbstzweck ein derartiges Allgemeinwissen vermitteln kann wie die Beschäftigung mit Briefmarken aus aller Welt. Ich habe so schon als Schüler jeden Quizwettbewerb gewonnen, selbst gegen die Klassenbesten.