WITTEN – Der Mann spricht Klartext: „Mit dieser Art von Musik habe ich bislang nichts zu tun gehabt. Aber von meinen Kindern kriege ich immer wieder mit, dass die das toll finden. Also bin ich hier, um mir das mal anzuschauen.“ Diese Art von Musik – damit meint er die Lieder aus dem Bereich „Praise ‘n‘ Worship“. Was auf Deutsch so viel wie „Lobpreis“ heißt. Und an vielen Stellen der Kirche die Gemüter spaltet.
Ort: das Lukas-Zentrum in Witten. Evangelische Kirche von Westfalen und Creative Kirche haben zu einer Fachtagung geladen. Zwei Tage lang diskutieren Fachleute unter dem Titel „Praise ‘n‘ Worship, NGL & Co.“ die Frage: „Welche Popularmusik braucht die Gemeinde?“ Um die einhellige Antwort vorwegzunehmen: Die inneren Grabenkämpfe der Kirchenmusik müssen aufgegeben werden; die Kirchenmusik muss breiter aufgestellt werden.
Längst haben moderne Formen der Musik wie Neues Geistliches Lied, Gospel und Worship im Gemeindealltag ihren Platz erobert. Die Ausbildung von Kirchenmusikerinnen und -musikern muss diesen Bereich neben der traditionellen klassischen Musik sehr viel stärker berücksichtigen. „Es ist an der Zeit, das Schubladendenken aufzugeben“, sagt der Leiter des Instituts für Aus-, Fort- und Weiterbildung der westfälischen Kirche, Peter Böhlemann, am Donnerstag in Witten. „Nur wenn sie gemeinsam auftritt, hat die Kirchenmusik eine Zukunft“, betont auch der in der Landeskirche zuständige Dezernent, Landeskirchenrat Vicco von Bülow. Die Evangelische Kirche von Westfalen sieht er dabei auf einem guten Weg: Mit der Evangelischen Popakademie Witten und der Ausbildung von Popkantorinnen und -kantoren habe man die Weichen in die richtige Richtung gestellt.
Wichtig vor allem: Die Gemeinde muss singen
Mehr als 100 Pfarrerinnen und Pfarrer, Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker sowie interessierte Gemeindemitglieder sind hier im Lukaszentrum. Die ganze Bandbreite ist vertreten, von absoluten Fans der jeweiligen Musikrichtungen bis hin zu skeptischen Menschen – siehe oben. Was im Lauf der zwei Tage überdeutlich wird: Die Gemeinde braucht vor allem und zu allererst singfähige Lieder, es macht dabei keinen Unterschied, aus welcher Zeit oder Kategorie sie stammen.
Referenten und Teilnehmer berichten, wie sehr Richtungskämpfe und Abgrenzungen die Entwicklung von Gottesdiensten und Gemeinden blockieren können. Neben dem Streit, ob der klassische Orgelchoral oder moderne Bandmusik geeigneter sei, kämen auch Auseinandersetzungen um neuere Formen der Musik hinzu. So sehe sich die Worshipmusik, die an vielen Stellen für volle Kirchen sorgt, oft innerkirchlicher Kritik ausgesetzt. „Die Lobpreisszene verengt das biblische Gottesbild auf den Vater und König, und sie hat die Tendenz, den christlichen Glauben ganz auf das individuelle Wohlgefühl im Moment der Anbetung zu reduzieren“, bemängelt etwa der Publizist Andreas Malessa. Vielen Kirchenmusikern und Pfarrerinnen sei sie auch musikalisch zu simpel in Aufbau und Textform. „Da wird ein Vers dreimal wiederholt und nur ein Wort dabei ersetzt“, so Malessa.
Die Musik muss weiterentwickelt werden
Allerdings seien auch andere, vermeintlich moderne Formen der Kirchenmusik für weite Teile der Bevölkerung längst veraltet. „Das sogenannte Neue Geistliche Lied stammt aus den 60ern, die Musik, die wir im Radio oder Internet hören, ist längst weitergegangen“, erklärt Experte Malessa. Notwendig sei es aber nicht, derartige Ansätze wie Worship, Gospel oder NGL aufzugeben, sondern sie weiterzuentwickeln. Außerdem werde es immer wichtiger, Musik nicht nur vorzutragen, sondern die Gemeinde anzusprechen, ihre Emotionen zu wecken und sie zum Mitsingen zu bringen, so Malessa.
An dieser Stelle betonen etliche der anwesenden Kirchenmusikerinnen und -musiker, dass ihre Ausbildung sie auf derartige Aufgaben nicht vorbereite. Ansätze wie die der Evangelischen Kirche von Westfalen, inzwischen auch Pop-Kantoren auszubilden, seien ein Schritt in die richtige Richtung. Notwendig sei aber, nicht nur Teilzeitstellen, sondern ausreichend 100-Prozentstellen einzurichten. Wo das einer Gemeinde alleine nicht möglich sei, solle man über Kooperationen mit Nachbargemeinden nachdenken. Dabei dürfe auch die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche kein Tabu sein.