Artikel teilen:

Ein Lehrer der evangelischen Kirche

Jüdische Gemeinde würdigt früheren Landesrabbiner Henry G. Brandt. Beim Festakt in Bielefeld sprach auch die westfälische Präses Annette Kurschus

BIELEFELD – Anlässlich des 90. Geburtstags des früheren Landesrabbiners Henry G. Brandt hat ihn die Jüdische Kultusgemeinde in Bielefeld mit einem Festakt in der Bielefelder Synagoge gewürdigt. Landtagspräsident An­dré Kuper (CDU) und die westfälische Präses Annette Kurschus hoben unter anderem Brandts Engagement gegen Antisemitismus sowie für den christlich-jüdischen Dialog hervor.
Es sei schwer auszuhalten, welches unermessliche Leid von Deutschland aus über das jüdische Volk gekommen sei, sagte Kuper. Dass der Plan der Nationalsozialisten nicht aufgegangen sei, daran habe auch Brandt mitgewirkt. So habe er sich als Jude nach der Schoah mit Christen an einen Tisch gesetzt und die Wurzeln des theologischen Antijudaismus offengelegt. Zudem habe er sich als Opfer des Nationalsozialismus entschlossen und sachlich mit Nachfahren der Täter oder sogar mit Tätern selbst auseinandergesetzt.
Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, dankte Brandt für die vielen Impulse im jüdisch-christlichen Dialog. „Sie, lieber Herr Brandt, sind uns in der evangelischen Kirche zum Lehrer geworden.“ Kurschus erinnerte an das evangelische Prinzip „sola scriptura“ (allein die Schrift), das durch die Reformation vor 500 Jahren geprägt wurde. „Sola scriptura schließt für uns das verbindliche Hören auf die so reiche jüdische Schriftauslegung ein“, sagte die leitende Theologin der westfälischen Kirche. Brandt habe hier immer wieder starke Akzente gesetzt.
Brandt, der von 1995 bis 2005 Landesrabbiner von Westfalen-Lippe war, ist Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg. Außerdem betreut er als Amtsrabbiner die Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld.
Bis 2016 war Brandt den Angaben zufolge jüdischer Vorsitzender des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und ist seitdem dessen Ehrenvorsitzender. Außerdem war er lange Jahre Mitglied im Gesprächkreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Brandt erhielt das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und den Bayerischen Verdienstorden.
Geboren in München, emigrierte Brandt 1939 mit seiner Familie über Großbritannien nach Tel Aviv. Er studierte in Nordirland Wirtschaftswissenschaften und arbeitete zunächst als Marktanalytiker für einen Automobilkonzern, bevor er sich in London am Leo Baeck College zum Rabbiner ausbilden ließ.
Er war in jüdischen Gemeinden in der Schweiz und Schweden tätig und kehrte dann Anfang der 80er Jahre nach Deutschland zurück. Am 25. September wurde Brandt 90 Jahre alt. epd