Die Bezeichnung ist irreführend. Total irreführend: Glockensachverständiger. Als ob Glocken eine Sache wären. Niemals. Glocken sind sein Leben. Schon als Kind war Claus Peter, der in Bamberg aufgewachsen ist, vom Klang der Glocken in seiner Heimatstadt fasziniert. „Ich bin mit Glockengeläut groß geworden.“
Als die Familie dann in den 60er Jahren nach Westfalen umgezogen ist, ist er seiner Leidenschaft treu geblieben. Mehr noch: Er hat sie ausgebaut und schließlich auf ein Niveau gehoben, das ihn anerkanntermaßen zu dem Glockensachverständigen schlechthin gemacht hat. Bundesweit. Doch der Reihe nach.
Treffpunkt ist die St. Victor-Kirche in Hamm-Herringen. Hier ist ein Glocken-Ensemble im Kirchturm, das Peter besonders zu schätzen weiß. Dank seiner Expertise ist es erst vor kurzer Zeit überholt und ergänzt worden: „Jetzt hat die Kirche ein sehr harmonisches Geläut aus alten und jungen Glocken.“ Wobei alt in diesem Fall wirklich alt meint: Die älteste der fünf Glocken stammt aus dem 13. Jahrhundert.
Kirchenglocken haben die Eigenschaft, dass sie in der Regel weit oben im Turm hängen. Für einen Menschen mit Höhenangst eine echte Herausforderung. Da tut es gut, dass Claus Peter, der behände wie ein Eichhörnchen die Treppen und Leitern hochhuscht, verkündet, dass der Aufgang zu den besonders sicheren und gut zugänglichen gehört.
„Es gibt in vielen Kirchtürmen erschreckend große Sicherheitsmängel. Aber hier ist alles in Ordnung.“ Wie beruhigend. „Glockenpeter“, wie er von allen respektvoll genannt wird, ist längst durch eine schießschartengroße Maueröffnung im Turm verschwunden. Das letzte Stück ist am besten rückwärts auf allen Vieren zu bewältigen. Dann ist man im Glockenturm.
Drinnen – oder ist es eigentlich nicht draußen? – herrscht ein diffuses Zwielicht, in dem aufgewirbelter Staub zum Tanz bittet. Die drei Fensteröffnungen sind mit Bretterverschlägen zum Schutz vor Tauben verschlossen. Hier oben ist der 71-Jährige in seinem Element. Er beginnt zu erzählen: Während des Lehramtsstudiums in Dortmund – Schwerpunkt Musik – hat ihn sein Professor ermuntert, seine Abschlussarbeit über das Thema „Glocken“ zu schreiben: „Ich weiß bis heute nicht, warum der das vorgeschlagen hat.“
Seine zweite Leidenschaft sind Turmuhren
Für Claus Peter war diese Arbeit der Einstieg in die wissenschaftliche Welt der Glocken und der erste Schritt, sich einen außergewöhnlichen Ruf zu erwerben. Bereits 1975 wurde er vom Landesamt für Denkmalpflege beauftragt, eine wissenschaftliche Bestandserhebung der historischen Glocken und Turmuhren vorzunehmen. Turmuhren? „Ja, das ist meine zweite Leidenschaft“, sagt er. „Diese ausgeklügelte Technik und Mechanik fasziniert mich.“
Diese Bestandserhebung ist eine echte Mammutaufgabe; es gilt, allein über 1000 Glocken zu begutachten. Eine Aufgabe, die der inzwischen als Lehrer arbeitende Peter nebenbei in seiner Freizeit erledigt hat. „Alle Versuche des Landeskonservators, mich vom Schuldienst loszueisen, sind gescheitert. Die Schulbehörde hat mich nicht gehen lassen. Ich habe den Riesenberg an Arbeit also nebenbei erledigt.“
Und dieser Berg wurde ständig größer. 1988 nämlich wurde die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) auf den Experten aus Hamm aufmerksam und bot ihm an, künftig als Glockensachverständiger für sie zu arbeiten. Natürlich nebenbei. Und nach der Grenzöffnung kam Mecklenburg-Vorpommern noch als neues Aufgabengebiet dazu: „Diese Freiheit habe ich mir genommen, weil mich die Kirchen dort gereizt haben. Rückblickend frage ich mich manchmal aber schon, wie ich das alles geschafft und bewältigt habe.“
An dieser Stelle muss die Frage erlaubt sein, was einen Menschen umtreibt, sich in oft schwindelerregende Höhe zu begeben, sich über wacklige Leitern und schmale Bretter, durch Spinnweben und Taubendreck zu bewegen, um eine Glocke zu begutachten, die dort schon seit Jahrhunderten hängt?
Jetzt wird der Gesichtsausdruck von Claus Peter schwärmerisch: „Ja, ich weiß, das ist für Außenstehende schwierig zu verstehen. Eine Glocke ist schließlich ein Instrument; ein jahrhundertealtes Originalinstrument. Für mich ist das jedes Mal eine faszinierende Zeitreise. Eine Zeitreise, die mich Jahrhunderte zurückführt.“ Und gleichzeitig immer auch wieder eine Reise zurück in Gegenwart und Zukunft. Denn jede Begutachtung, jede Expertise, die Peter erstellt, hat letztlich nur ein Ziel: Aufzuzeigen, wie eine Glockenanlage für die Gegenwart optimiert und für die Zukunft erhalten werden kann.
„Gott sei Dank sind in dieser Beziehung bei vielen Kirchengemeinden Sensibilität und Verständnis in den letzten Jahren gewachsen“, freut er sich, dass sein Engagement als Überzeugungstäter bei den Kirchengemeinden langsam aber sicher Früchte trägt: „Es hat ein deutliches Umdenken stattgefunden. Es ist dadurch auch gelungen, exzessive Bestandsverluste zu verhindern. Heute weiß man meist zu schätzen, welchen Schatz man oft in den Kirchtürmen hat. Ein schönes Geläut gehört zu einer Kirchengemeinde dazu wie die Bibel auf dem Altar.“