Hamburg. Karin Böhnke atmet auf. Endlich ist Ruhe im Kinderzimmer eingekehrt. Ihre neunjährige Tochter hat eine Freundin zum Spielen zu Besuch – Zeit für einen kurzen Gottesdienst. Seit gut einem Jahr feiert die 53-Jährige nun schon ihre wöchentliche Sonntagsandacht zu Hause. Selten zwar um 11 Uhr, doch die Zeit mit Predigt und Gebet sind ihr wichtig. „Heute vielleicht sogar noch wichtiger als zu Beginn des ersten Lockdowns“, sagt sie.
Ein kurzer Moment des Innehaltens zwischen Homeschooling, Homeoffice und Familienleben. Zeit für sich selbst haben. „Für mich muss das nicht immer zeremoniell und zu einer bestimmten Zeit sein“, sagt Böhnke. Oft habe sie nicht die Zeit, den Gottesdienst in Gänze zu feiern. Gebete und andere liturgische Elemente überspringt sie dann und liest direkt die Predigt. „Ich schätze unsere Pastoren sehr und ich freue mich, ihre Gedanken zu bestimmten Dingen zu lesen.“
In einzelnen Häppchen
Einer von ihnen ist Pastor Heiko Landwehr: „Die Idee dahinter war, dass viele Menschen an vielen verschiedenen Orten zusammen die heilige Messe feiern.“ Woche für Woche nehmen Landwehr und sein Team die Gottesdienste auf. Nur die Tonspur. Und immer in einzelnen Häppchen. So können einzelne Teile der Zeremonie noch einmal angehört werden. „Manche hören sich das schöne Orgelvorspiel mehrfach an. Oder auch die Predigt“, berichtet Landwehr. „Die Leute sind sehr gut in der Lage, sich ihr eigenes Setting selbst zu schaffen.“
Da ist die über 90-jährige Dame, die jeden Sonntag kurz vor 11 Uhr eine Schallplatte für die Hintergrundmusik auflegt, Kerzen anzündet und dann zu Hause auf dem Sofa Gottesdienst feiert. Eine andere Bramfelderin hört die Andacht beim Kochen. Bei der Predigt Zwiebeln schneiden – ist das nicht etwas respektlos? Nein, sagt Pastor Landwehr. „Eine Grundüberzeugung unseres Glaubens ist es schließlich, dass Gott den Menschen ins Herz schaut und nicht auf Äußerlichkeiten achtet.“ Wichtiger sei die „innere Haltung“.
Auch nach der Pandemie mehrgleisig
An mehr als 100 Haushalte verschickt die Gemeinde die Andachten per Post. Wie viele den Gottesdienst per E-Mail gesendet bekommen, lasse sich nicht sagen. Der gleiche Gottesdienst wird am Sonntag auch ganz traditionell in der Osterkirche gefeiert. Rund 40 Menschen kommen. So würden mehr Menschen erreicht, als vor der Pandemie. „Was natürlich ein bisschen fehlt, sind die großen Gottesdienste zu Ereignissen wie Weihnachten oder Erntedank“, sagt Landwehr wehmütig.
„Ich bin sehr gespannt, wie wir auf unsere Liturgie schauen werden, wenn wir mittelfristig wieder ohne Auflagen Gottesdienste feiern dürfen“, sagt der Pastor. Er geht davon aus, dass er in seiner Gemeinde auch künftig mehrgleisig Gottesdienste feiern wird: auf Papier zum Feiern für zu Hause, zum Anhören und hoffentlich irgendwann auch wieder mit einer großen Gemeinde, in der Bramfelder Osterkirche.